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antriebstechnik 9/2019

antriebstechnik 9/2019

FORSCHUNG UND

FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG PEER REVIEWED ENTWICKLUNG EINES VERSUCHSSTANDS ZUR UNTERSUCHUNG ALTERNATIVER KÜHLSYSTEMSTRUKTUREN UND -BETRIEBS- STRATEGIEN VON WERKZEUGMASCHINEN Linart Shabi, Christoph Steiert, Juliane Weber, Moritz Jansen, Jürgen Weber Die Grundidee der neu entwickelten Kühlsystemstrukturen basiert auf der Bereitstellung eines in der Durchflussmenge und der Temperatur bedarfsgerechten und komponentenspezifischen Kühlmediums aufgrund der thermischen Belastung. Die neuen Kühlsystemstrukturen sind in unterschiedlichen Graden der dezentralen Kühlmittelversorgung weiterentwickelt worden. Für ein tieferes Verständnis der Einflussmöglichkeiten auf die Regelgüte der Komponententemperaturen durch die drei neu entwickelten Kühlstrukturen sowie ihrer energetischen Betrachtung, ist ein Kühlsystemversuchsstand entworfen und gebaut worden. Der Versuchsstand ermöglicht ebenfalls eine detaillierte Analyse der entwickelten Betriebsstrategien für die Temperierung der Maschinenkomponenten und bestätigt die erzielten Ergebnisse bzgl. der Temperaturentwicklung an den Verbrauchern sowie des Energiebedarfs der einzelnen Kühlstrukturen in der Simulation. Somit können die Simulationsmodelle für andere Kühlsystemtypen von Werkzeugmaschinen verwendet werden. 98 antriebstechnik 2019/09 www.antriebstechnik.de

PEER REVIEWED FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG Im Bereich der Fertigungstechnik stellen Werkzeugmaschinen (WZM) einen wesentlichen Teil der Maschinenausrüstung eines Unternehmens dar. Neben der Produktivität steigen auch die Anforderung an die Genauigkeit der Bauteile und an die Energieeffizienz des Fertigungsprozesses /Gro15/. Zusätzlich zu den statischen und dynamischen Verformungen haben die thermischen Verformungen in der WZM einen erheblichen Einfluss auf die Fertigungsgenauigkeit der Bauteile /Uhl08/. Laut /May12/ sind 75 % aller geometrischen Fehler von Werkstücken auf Temperaturschwankungen zurückzuführen, die ihrerseits von externen und internen Wärmequellen verursacht werden. In /Bei95/ wird das thermische Verhalten von WZM als Folge der thermoelastischen Relativverlagerung an der Bearbeitungsstelle zwischen Werkstück und Werkzeug bezeichnet. Wie in Bild 01 dargestellt, werden diese Verlagerungen durch alle Komponenten der thermischen Wirkungskette und deren thermische Verformungseigenschaften beeinflusst. Aus dem Fertigungsprozess der WZM ergeben sich unterschiedliche Verlustleistungsarten (Prozess, Antriebe, etc.), die als Wärmeströme die Maschinenstruktur beaufschlagen. Diese Wärmeströme verursachen, zusätzlich zu schwankenden Umgebungsbedingungen (Hallentemperatur, benachbarte Wärmequelle, Sonnenstrahlung, Wärmeübergänge durch Wärmeleitung, Konvektion und Strahlung), transiente Temperaturfelder in der Werkzeugmaschinenstruktur. Diese Temperaturfelder führen zu Wärmedehnungen an verschiedenen Baugruppen der Werkzeugmaschinenstruktur und damit zu einer thermo-elastischen Strukturverformung, die sich letztendlich in einem Fehler oder eine Verlagerung am Tool Center Point (TCP) transformiert. Für die Korrektur des thermo-elastischen Verhaltens von WZM und somit dem Fehler am TCP wird, wie in Bild 01 dargestellt, zwischen den Lösungsverfahren der Kompensation und Korrektur unterschieden. Das Lösungsverfahren „Kompensation“ beruht auf der Reduzierung der thermo-elastischen Verformung am TCP durch physikalische Beeinflussung des Übertragungsverhaltens zwischen eingeprägten Verlustleistungen und dem resultierenden Temperaturfeld. Dies erfolgt mittels Minimierung des Wärmeflusses (durch gezielte Verlustleistungssteuerung der Antriebsmotoren), der Wirkung des Wärmetransports (mittels Integration von Zusatzkomponenten wie Latentwärmespeicher) und der Homogenisierung des Temperaturfeldes durch Entwicklung neuer Kühlstrukturen und Kühlbetriebsstrategien. Im Ergebnis wird trotz instationärer Wärmeströme eine Homogenisierung der Temperaturfelder an der WZM durch aktive oder passive Beeinflussung der Wärmeströme erreicht. Das Lösungsverfahren „Korrektur“ basiert auf einer Berechnung oder Messung von inversen Vorgaben zur steuerungsintegrierten Fehlerkorrektur im Betrieb der WZM. Dabei wird zwischen indirekten und direkten Korrekturverfahren differenziert. Die indirekten Korrekturverfahren beruhen auf der Entwicklung von Simulationsmodellen, welche die Verformung der WZM-Struktur mittels Prozessvorgaben und Parametern berechnen. Ziel ist es, eine Korrektur des thermo-elastischen Fehlers an der WZM steuerungsintegriert und in thermischer Echtzeit zu ermöglichen. Die direkten Korrekturverfahren können durch direkte Fehlermessung, z. B. Messung der TCP-Verlagerung nach ISO230-3, eingesetzt werden /SFB18/. Aufgrund ihrer hohen Wärmeaufnahmekapazität wird die Wärme in WZM vor allem durch Kühlmedien abgeführt. Flüssigkeitskühlverfahren in der Kältetechnik brauchen im Vergleich zu Luftkühlverfahren mit gleicher Kühlleistung wesentlich weniger Bauraum, was deren Einsatz in WZM begünstigt. Zur Kühlung der Maschinenkomponenten (z. B. Motorspindel, Gestell und Linearführungen der Achsen) durch das Kühlsystem werden sowohl zentrale Kühlwasseraggregate, die mehrere WZM gleichzeitig kühlen, als auch autark arbeitende Kühlaggregate, 01 Thermische Wirkungskette und ihr Einfluss auf TCP-Verlagerung /SFB18/ 02 Neue Kühlsystemstrukturen für Werkzeugmaschinen /Sha18a/ 03 Konzept des Systemaufbaus des Systemversuchsstands die jeweils nur eine WZM kühlen, eingesetzt. Da in vielen Maschinenhallen keine zentrale Kühlwasserversorgung zur Verfügung steht, ist die überwiegende Mehrheit der WZM mit autarken Kühlsystemen ausgestattet. Ziel dieser Arbeit ist es, das Potenzial, das bisher in der Simulation analysierten neuen Kühlsystemstrukturen und deren Kühlbetriebsstrategien mittels eines Kühlsystemprüfstandes zu vergleichen. Zunächst wird auf Basis der experimentellen Unter suchungen der Demonstratormaschinen sowie der Simulationsstudie der neu entwickelten Kühlstrukturvarianten eine www.antriebstechnik.de antriebstechnik 2019/09 99