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antriebstechnik 9/2017

antriebstechnik 9/2017

WÄLZ- UND GLEITLAGER I

WÄLZ- UND GLEITLAGER I TITEL Gleiten oder Rollen? Linearkugel- und Lineargleitlager im Vergleich In der Lineartechnik wird wie bei allen Lagern gemäß dem Wirkprinzip grundsätzlich zwischen zwei Arten von Lagerungen unterschieden: Den Gleit- und den Wälzlagern. Gleitlager bieten dank innovativer Hochleistungskunststoffen heute die Möglichkeit, völlig auf eine Schmierung verzichten zu können. Halten Sie auch, was sie versprechen? „Historisch betrachtet sind Gleitlager die einfachste und älteste Form der Lagerung. Schon die alten Ägypter transportierten die Steinblöcke für ihre Pyramiden auf Schlitten, die über speziell gehärtete Transportrampen und mit einer Schmierung aus Schlamm und Wasser gezogen wurden“, erklärt Martin Kochmann, Vertriebsleiter Deutschland, Drylin Lineartechnik, bei der Igus GmbH in Köln. Auflagenfläche sowie Schlitten und Seile als Führung für eine geradlinige, translative Bewegung. Dieses uralte Prinzip gilt im Grunde noch heute für die Werkzeugführung im modernen Maschinen- und Anlagenbau. Die große Kontaktfläche garantierte eine hohe statische Tragfähigkeit, bedeutete aber zugleich einen enormen Bewegungswiderstand, der nur durch einen massenhaften Einsatz menschlicher und tierischer Zugkraft überwunden werden konnte. Mit der Industrialisierung gewannen Gleit- und Wälzlager aus Metall zunehmend an Bedeutung. Die Entwicklung von Wälzlagern beruhte auf dem Bestreben, die Reibung und damit die notwendige Antriebskraft weiter zu verringern. Der Flächen- wurde zu einem Punktkontakt vermindert und es konnte eine reibungsarme Führung der Welle oder Achse erreicht werden. Durch die geringere Reibung konnte ebenfalls die Wärmeentwicklung reduziert werden. Auch der Verschleiß und der Bedarf an Schmiermitteln waren im Vergleich zu Gleitlagern geringer. Elementarer Bestandteil aller Wälzlager sind die sogenannten Wälzkörper. Die am häufigsten verwendete Bauart sind dabei Kugeln, die meist aus Stahl gefertigt werden. Bei Linearkugellagern werden die Wälzkörper in einer Kugelreihe in einem axialen Umlauf bewegt. Die Lastaufnahme erfolgt beim linearen Umlauf immer über die innere Kugelführungsreihe, während die äußere entgegen der Bewegung entlastet zurückgeführt wird. Je mehr Kugeln eingesetzt werden, desto mehr erhöht sich die Belastbarkeit, damit aber auch Reibung und Verschleiß. Der gegenseitige Kontakt der Kugeln erfordert eine permanente Schmierung der Kugellager. Sie sind deshalb wartungsanfällig und empfindlich gegen Verschmutzung und Feuchtigkeit, weshalb sie häufig mit Deck- und Dichtscheiben ausgestattet werden. Der innere Aufbau aus Kugeln und Käfig verursacht außerdem eine relative hohe Anfälligkeit gegen externe Stöße und Schwingungen. Folglich ist ihr Lauf mitunter weder vibrations- noch geräuscharm. Auch die mögliche Laufgeschwindigkeit wird durch die Massenträgheit der Kugeln begrenzt. „Insgesamt waren Kugellager aber eine bedeutende technische Neuerung, die solange alternativlos blieben, solange nicht spezielle Materialien die Gleitlager zur leistungsstärkeren Lager-Variante machten und die ursprünglichen Nachteile, Schmierstoff- und Wartungsbedarf, nicht zu einem Vorteil der Gleitlager modifiziert wurden“, weiß Kochmann. 01 18 antriebstechnik 9/2017

Das Potenzial der Tribo-Kunststoffe Durch die Entwicklung von Hochleistungskunststoffen eröffneten sich auch im Bereich der Gleitlager neue Möglichkeiten. Tribologisch optimierte Materialcompounds erlauben inzwischen die Herstellung von Polymergleitlagern, die gänzlich ohne Schmierung auskommen. Gleitelemente und Gegenlaufpartner aus Tribokunststoffen weisen optimale Verschleiß- und Reibwerteigenschaften auf. „Im Gegensatz zu Metalllagern, die korrosionsanfälllig sind und deshalb gerade im Außeneinsatz ständig geölt oder gefettet werden müssen, sind Kunststofflager universell verwendbar. Sie sind gegen Feuchtigkeit wie Hitze gleichermaßen widerstandsfähig“, so Michael Hornung, Internationaler Produktmanager Drylin Linear- und Antriebstechnik bei Igus. Anlagen, wie z. B. Verpackungsmaschinen, die mit Polymergleitlagern ausgestattet sind, profitieren von der hohen Lebensdauer und der Verschleißfestigkeit der Kunststoffe. Kostspielige Stillstandszeiten durch Wartung oder Ausfall der Maschinen entfallen. Kunststoff vs. Metall Exemplarisch kann der technische Vorteil der Polymergleitlager (auch Gleitbuchsen genannt) gegenüber den Kugellagern (Kugelbuchsen) im Bereich der Linear- und Antriebstechnik nachgewiesen werden. Durch die größere Kontaktfläche und geringere Flächenpressung können auch weichere Wellen- oder Achsenwerkstoffe (z. B. Aluminium oder Kohlefaser) eingesetzt werden, was unter anderem eine weitere Gewichtsreduktion ermöglicht. „Weil kein mechanisches Abrollen harter Reibungspartner und keine Kollision der Wälzkörper erfolgt, erzeugt das Gleiten weit weniger Geräusche oder Vibrationen. Auch das Aneinanderreihen von Führungsschienen, um größere Hublängen zu ermöglichen, ist mit Lineargleitlagern weitaus einfacher, weil die entstehenden Nuten von Gleitelementen weitaus besser überfahren werden können als von Kugeln“, so Hornung. Ein wesentlicher, materialbedingter Nachteil aller Wälzlager besteht in der Begrenzung der zulässigen Geschwindigkeiten und Beschleunigungen. Die Maximalwerte sind limitiert, gerade bei geringen Lasten. Polymere Gleitbuchsen warten hingegen mit hohen Gleitgeschwindigkeiten und Beschleunigungen auf und erhöhen in vielen Anwendungen die Taktzahlen deutlich. „Der wichtigste Trumpf besteht aber in der Lebensdauer. Lager aus Hochleistungspolymeren sind oftmals langlebiger als es ein herkömmliches Kugellager jemals sein kann. Darüber hinaus lässt diese sich durch Programme berechnen“, weiß Hornung. In den vergangenen Jahren gab es auch große Fortschritte in puncto Präzision und Reibwerten. In Einsatzgebieten, in denen bisher auf Alternativen gesetzt wurde, werden bereits heute Kunststoffgleitlager eingesetzt und ersetzen dort herkömmliche Kugelbuchsen. Lineargleitlager für sensible Anwendungen „Wartungs- und schmiermittelfreie Lineargleitlager wie aus dem Drylin-Programm von Igus finden aufgrund ihres Leistungsspektrums bereits jetzt Anwendung in zahlreichen Branchen“, erklärt Kochmann. In Produktionsprozessen, die Anforderungen an Robust- 02 Die Linearlagertechnik hat bedeutende Fortschritte gemacht Michael Hornung, Internationaler Produktmanager Drylin Linear- und Antriebstechnik, Igus GmbH Kugelbuchsen waren lange Zeit das Nonplusultra für lineare Antriebe. Doch reibungsarme Hochleistungskunststoffe haben einen neuen Standard in puncto Schmiermittel- und Wartungsfreiheit gesetzt. Gleitbuchsen sind anwendungsfreundlicher, betriebssicherer im Lauf und damit letztlich auch kostengünstiger. In der Auseinandersetzung „Gleiten vs. Rollen“ sind daher heute moderne Polymergleitlager die klaren Punktsieger. Lineargleitlager arbeiten, im Unterschied zu den bekannten Kugelumlaufsystemen, auf Gleitelementen Stefan Niermann, Leiter Drylin Linear- und Antriebstechnik, Igus GmbH Dadurch entsteht eine größere Kontaktfläche, die eine geringere Flächenpressung zur Folge hat. Die dadurch entstehenden Vorteile sind: Der Einsatz nicht gehärteter Wellen ist möglich, sogar nichtmetallische Gegenlaufpartner sind einsetzbar, ein Fressen ist vollkommen ausgeschlossen. Im Gegensatz zu Kugelumlaufbuchsen sind die Lineargleitlager unabhängig von der Länge des Verfahrweges und stellen keine Bedingungen an eine Mindesthublänge. Drylin ist ein Igus-Programm an wartungsund schmiermittelfreien Lineargleitlagern mit vier unterschiedlichen Baureihen Martin Kochmann, Vertriebsleiter Deutschland, Drylin Lineartechnik, Igus GmbH Komplette Lineareinheiten mit Spindeltrieb oder Zahnriemen ergänzen das Programm. Bei allen Drylin-Produkten stehen neben der Wartungs- und Schmiermittelfreiheit auch immer die Robustheit und die Unempfindlichkeit gegen Einflüsse wie Schmutz, Wasser, Chemikalien, Hitze oder Stöße im Vordergrund. 01 Drylin Linearlager gleiten auf Hochleistungskunststoffen 02 Kraftverteilung beim Rollen (links) und Gleiten antriebstechnik 9/2017 19