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antriebstechnik 8/2016

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MAGAZIN 03

MAGAZIN 03 SWOT-Strategien Elektromotorenproduktion Deutschland 04 Erfolgreiche Positionierung in der Elektromotorenbranche Drehzahl unter speziellen Einsatzbedingungen und Effizienzzielen ist die formale Funktionsdefinition einer elektrischen Maschine. Bei der Auswahl der geeignetsten Produktlösung für den jeweiligen Anwendungsfall steht ein umfangreiches Technologieportfolio zu Verfügung. Die Wahl fällt dabei häufig auf die Asynchronmaschine, welche mit einem Anteil von über 90 % aller produzierten elektrischen Maschinen weiterhin eine marktbeherrschende Rolle einnimmt. Dieser dominierende Einsatz von Asynchronmaschinen ist steuerungsund effizienztechnisch jedoch oftmals nicht mehr zeitgemäß und eine Produktprogramm- und Produktionsumstellung auf neue Motorentechnologien wie beispielsweise die elektrisch kommutierte Synchronmaschine oder einen Transversalflussmotor ist kosten- und zeitintensiv. Zusätzlich besteht bei einer Umstellung aus rein technologischen Vorteilen die Gefahr der Verfehlung von wirtschaftlichen Zielen, Kundenwünschen und der Hang zur Übertechnisierung. Deshalb muss der Lösungsraum in einer anforderungsfokussierten Technologieanalyse für den Anwendungsfall beschränkt und die technolgisch und wirtschaftlich geeignetste Motortechnologie identifiziert werden. Das Ziel einer umfassenden Neuausrichtung des Produktprogramms muss ein leistungs skalierbarer Produktbaukasten mit an for de rungs spezifischen mechanischen und elektrischen Schnittstellen zur Ausbildung kundenindivi d ueller Sonderlösungen sein. Durch eine kommunale Produktplattform wird der va riantengetriebenen Marktnachfrage Rechnung getragen. Der entscheidende Er folgs faktor ist hierbei die effiziente Generierung kundenindividueller Varianten bei geringst möglicher interner Komplexität. Der Elek tromotor bietet hierfür einen mustergültigen Anwendungsfall. Insbesondere die pro duk tionstechnisch einfach umzu setzende Leistungsskalierung durch Längenvaria tion und die Möglichkeit zu einer flexiblen individuellen Anpassung von Kundenschnittstellen in der mechanischen und elektrischen Produktarchitektur sind Be fähiger für einen marktorientierten Baukasten. Technologiekettenbildung Das entscheidende Charakteristikum wettbewerbsfähiger Produktionssysteme ist der Einsatz geeigneter Prozesstechnologien für die jeweilige Produktionsaufgabe. Im Bereich der Elektromotorenproduktion existieren jedoch unzählige Technologiealternativen für die einzelnen notwendigen Prozessschritte. Von der Wickeltechnik und Imprägnierung über die Rotorfer ti gung und Endmontage bis zur Prüfung ganzer Antriebssysteme eröffnet sich ein unübersichtlicher Lösungsraum für die Generierung von Prozessketten. Eine Konzentration auf wenige Technologien und eine damit einhergehende lokale Optimierung ist hierbei noch nicht abzusehen. Die Ausrichtung der gesamten Prozesskette hinsichtlich Kompatibilität, Qualitätsniveau und Stellhebeln zur Skalierbarkeit ist daher von entscheidender Bedeutung. Insbesondere ist der Einsatz von „Leuchtturmprozessen“, (z. B. Prozesse mit herausragendem Qualitätsniveau), in einer Prozesskette zu vermeiden. Eine lokale kostentreibende Qualitätssteigerung führt im Endeffekt kaum zu einer Wertverbesserung für den Kunden, wenn die Qualität entlang der gesamten Prozesskette nicht gleichbleibend adressiert wird. Darüber hinaus bildet die Kompatibilität einzelner Prozesstechnologien untereinander eine weitere Restriktion ab. Exemplarisch ist die Kombination hochgenauer Dünnwandspitzgussverfahren zur Nutgrundisolation nicht kompatibel mit lasergeschnittenen und schweißpaketierten Blechpaketen aufgrund mangelnder Oberflächenqualität und Positionsgenauigkeit der Eisenkerne. An dieser Stelle ist die zu wählende Technologie beispielsweise die Stanzpaketierung zur Erhaltung der erreichbaren Qualität entlang der gesamten Prozesskette. Konzeption Produktionssystem Der Produkt- und Prozessgestaltung nachfolgend kommt der Gestaltung des Produktionssystems eine zentrale Bedeutung zu. Hierbei stehen Layout und Intraproduktionslogistikplanung, eine einsatz- und kundenanforderungsgerechte Variantenflexibilität und der aufgabengerechte Einsatz von innovativen Industrietrends im Fokus. Bei Serienproduktionen bzw. Produktionen von Standardmotoren in hohen Stückzahlen muss das Ziel sein, dass intelligente technische Systeme über eine Schnittstelle kommunizieren und die Produktion laufend steuern und anpassen. Der erwähnte Anteil steigender Sonderlösungen stellt die Produktion dabei vor eine besondere Herausforderung, da nicht alle Produktionsaufgaben automatisiert durchgeführt werden können. Gleichzeitig gilt es, die manuellen Aufwände bei der Bewältigung von Sonderlösungen zu minimieren um die Produktionsaufgabe zu erleichtern und Kosten zu sparen. Durch den Einsatz von Mensch- Roboter-Kooperationen kann dieser Herausforderung begegnet werden. Dabei ist die kollaborative Ausführung von Produktionsschritten wie bspw. die flexible Bauteilpositionierung effizienzsteigernd, kostensparend und ist für die varianzgetriebene 18 antriebstechnik 8/2016

MAGAZIN 05 Produktionsexzellenz- Blueprint für E-Motoren Herstellung von Sonderelektromotoren prädestiniert. Der zunehmende Einzug der Digitalisierung im Sinne von Industrie 4.0 in die mittelständische Elektromotorenproduktion stellt diese weiterhin vor neue Herausforderungen. Dabei ist festzustellen, dass die Unternehmen bei eingeschränkter Implementierung von Digitalisierungs strate gien sogar erhöhte Komplexitäten und Probleme der Datendurchgängigkeit und Datenhandhabung erfahren. Entscheidendes Erfolgscharakteristikum einer Di gi ta li sierungs implementierung ist schlussend lich die durchgängige Aufnahme, Evaluierung und Nutzung erzeugter Daten. Bestandsoptimierung Das Produktprogramm der meisten deutschen Elektromotorenhersteller ist nachfragegetrieben über Jahrzehnte gewachsen und weist eine hohe interne Varianz und folgerichtig Optimierungspotenzial auf. Jede zusätzliche Variante verursacht nicht nur erhöhte Produktionskosten (Bereitstellung, Rüstzeiten etc.) sondern auch Kosten in der Verwaltung, Stammdatenpflege und Logistik. Die Umstellung von einer defen siven Angebotspolitik (Umsetzung sämtlicher Kundenwünsche) zu einem proaktiven Standardbaukasten (Ableitung spezifischer kundenindividueller Lösungen aus vorgegebenem wirtschaftlich optimiertem Produktmerkmalsportfolio) setzt bei der Rationalisierung des Variantenbaums und der Identifikation varianztreibender Merkmale an. Es gilt dem Kunden zu verdeutlichen, dass die Anpassung einzelner Merkmale effizienter und kostengünstiger ist ohne dass es zu funktionalen Einbußen kommt. Durch eine Wertanalyse müssen konstituierende Merkmale identifiziert und ein Baukasten aus dem bestehenden Pro- dukt portfolio abgeleitet werden, welcher eine hohe externe Differenzierung bei interner Kommunalität ermöglicht. Beispielsweise existiert bei Unternehmen oftmals eine hohe interne Varianz bei Drahtund Nutgrundisolationssystemen. Durch die resultierenden hohen Komplexitätskosten wirkt eine Standardisierung und Verschlankung kostensenkend obwohl die Komponentenkosten ggfs. leicht gesteigert werden. Produktionsoptimierung Trotz einer langjährigen Ausgangslage für deutsche Elektromotorenhersteller rückt die langfristige Produktionsopti mierung zur Erhaltung des Kerngeschäf tes durch den wachsenden internationalen Druck stärker denn je in den Fokus. Die anfallenden Investitionskosten für einen zukunftsorientierten Elektromotorenbaukasten und eine wegweisende Umstellung des Produktionskonzeptes müssen durch aktuelle Bestandsproduktionen finanziert werden. Dies ist wirtschaftlich nur möglich, wenn aktuelle Produktionen mit Techno logien und Automatisierungsgraden, die dem Stand der Technik entsprechen und auf die Produktionsaufgabe abgestimmt sind, ausgestattet sind. In diesem Zuge stellt auch der Rückbau von Automatisierungstechnik, insbesondere von Transportsystemen, einen geeigneten Ansatz dar. Über ein entsprechendes Stärken- und Schwächenaudit sowie eine Wertschöpfungsanalyse kann ein Überblick über Optimierungs potenziale bezüglich der Produktionstechnologien geschaffen werden. Wichtig ist, dass insbesondere bei einem bestehenden veralteten Maschinenpark und resultierendem Investitionsstau die Erkenntnis erfolgt, dass die Fokussierung auf margenstarke Kernkompetenzen der Elektromotoren produzenten wie beispielsweise das Wickeln, Imprägnieren, Montieren und Prüfen erfolgt. Im Sinne einer optimalen Wert schöpfungs verteilung für die Produktion von Klein- bis Großserien gilt, dass die Komponenten fertigung kein Kern geschäft für eine erfolgreiche und wirtschaftliche Elektromotorenproduktion sein muss. Benchmarks und Marktstudien Durch die wachsende internationale Konkurrenz und die verkürzten Innovationszyklen sind eine ganzheitliche Betrachtung des Wettbewerbs und eine entsprechende Posi tionierung des eigenen Unternehmens umso wichtiger geworden. Entscheidend dabei ist, die eigenen Stärken und Schwächen sowohl prozess- als auch produktbezogen genau zu kennen und das betrieb liche Handeln danach auszurichten. Ein Abdriften in Nischen, die man nicht kennt, nicht ausreichend beherrscht oder versteht, oder wirtschaftlich nicht bedienen kann muss vermieden werden. Dabei dürfen die bestehenden Produkt- und Produktionsstrukturen keine Einschränkung in der Unternehmens ausrichtung be zogen auf die Marktsituation darstellen. Zur erfolgreichen Sicherung der Wertschöpfung in Deutschland ist es entscheidend, sich anhand der bestehenden Potenziale am Markt auszurichten. Eine geordnete Bestandskonsolidierung und die gleichzeitige innovations orientierte Neuausrichtung kann die führende Position einzelner Unternehmen und der Elektromotorenbranche als Ganzes langfristig sichern. Fotos: Fotolia, RWTH Aachen www.pem.rwth-aachen.de antriebstechnik 8/2016 19