FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG VERZAHNUNGSTECHNIK FUTURE-E-DRIVE: DAS GETRIEBE DER ZUKUNFT IN DER VALIDIERUNG Mehrere Fraunhofer-Institute arbeiten gemeinsam an einem innovativen Getriebekonzept für Elektrofahrzeuge der nächsten Generation. Im Fokus steht die Senkung der Umweltbelastung. Die vorliegende Publikation stellt das Projekt der Validierung einer schmiermittelfreien Alternativverzahnung für Hochdrehzahlanwendungen anhand eines zweistufigen Stirnradgetriebes mit integriertem E-Motor vor. Dabei spielt die Technologie des Verzahnungswalzens eine wichtige Rolle. EINLEITUNG UND MOTIVATION Die heutige Mobilität hat sich dem Ziel verschrieben, die Abhängigkeiten von weltweiten Erdöllieferungen zu minimieren und zugleich den weiteren Rohstoffeinsatz zu begrenzen. Das hier dargestellte Forschungsvorhaben leistet exakt dazu einen wichtigen Beitrag, indem ein möglichst schmiermittelfreier Betrieb von Hochdrehzahl-E-Getrieben samt dazu adaptiertem Getriebe- und Gehäuselayout aufgezeigt wird. Ergänzend zum ölfrei laufenden E-Getriebe wurden auch die Aspekte des Leichtbaus sowie der Getriebeakustik betrachtet. Neben diesen Optimierungen am „Endprodukt“ flossen auch Aspekte bezüglich ressourceneffizienterer Fertigung ein. Konkret wurde der Zerspanungsprozess zur Verzahnungsherstellung durch ein Umformverfahren ersetzt. Dadurch wurde Material eingespart und die CO2-Bilanz bei der Stahlherstellung positiv beeinflusst. Kerngedanke des Forschungsprojektes war die Erstellung eines voll funktionsfähigen Demonstrators, an welchem sich die eingangs formulierten Ansätze an den realen Herausforderungen messen können. Als Ausgangsbasis diente dazu ein e-Golf- Getriebe der zweiten Generation. Dabei handelt es sich um ein zweistufiges Stirnradgetriebe mit integriertem E-Motor. Zum Projektstart wurde ein solches Getriebe aus der aktuellen Serienproduktion am Akustik-Getriebeprüfstand des Fraunhofer IWU hinsichtlich der Kriterien Wirkungsgrad und Akustik umfänglich analysiert. Ein wesentliches Vorhabenziel war die Gewichtsreduktion um mind. 15 %. Weiterhin sollte, bis auf eine zulässige Abweichung von ca. 5 %, die Serienvergleichswerte hinsichtlich Wirkungsgrad und Festigkeit (Dauerlaufversuche) unter gleichen Prüfstandrandbedingungen erreicht werden. Eine weitere Forderung war, dass sich die Schallabstrahlung des Getriebes trotz Trockenlaufes nicht verschlechtert. Die Autoren: Jan Bräunig, (IIS EAS), Mike Lahl, Florian Berthold, (IWU), Frank Kaulfuß, Volker Weihnacht (IWS), Michael Wilhelm, Steffen Reuter (ICT) Der Getriebedemonstrator wurde geometrisch so entworfen, dass dieser final in ein e-Golf eingebaut werden kann. Somit konnten auch Akustikmessungen und Testfahrten am Gesamtfahrzeug durchgeführt werden. Die wichtigsten im Entwicklungsprozess gewonnen Erkenntnisse samt finaler Validierungsergebnisse werden in dieser Publikation ergänzend zum Beitrag „Future E-Drive: Das E-Getriebe von morgen!“ aus der Antriebstechnik 2021/09 detailliert [1]. NEUER ANSATZ DURCH VERKNÜPFUNG VON TECHNOLOGIEN Die grundlegende Motivation im Projektrahmen war, das (E-)Getriebe durch den Einsatz geeigneter Technologien ohne Schmierstoff betreiben zu können. Dazu ergibt sich für die unterschiedlichen Teildisziplinen und -komponenten neues Optimierungspotenzial. Dies kann am Beispiel des einzusetzenden Verzahnungswalzens (VZ) erläutert werden. In der aktuellen Serienfertigung von PKW-Getrieben wird dieses Verfahren bislang noch nicht für Laufverzahnungen eingesetzt, da bislang die erforderlichen Zahnhöhen walztechnisch nicht zu realisieren waren. Neben der ressourceneffizienten Fertigung durch Vermeidung von Materialverlusten weisen die Oberflächen gewalzter VZ optimale Randbedingungen für den anschließenden Beschichtungsprozess auf, welche wiederum die Ausgangsbasis für den schmiermittelfreien Betrieb darstellen. Als weitere Vorteile der walzenden Herstellung sind die Steigerung der Zahnfußtragfähigkeit sowie die verkürzten Herstellungszeiten im Vergleich zu spanend gefertigten VZ zu nennen. Ein weiterer Aspekt zur Ausnutzung der oben genannten Potentiale ist die Funktionstrennung des Getriebegehäuses in einen Rahmen zur Aufnahme der Wellenlager und einer Wandung, was ebenfalls noch nicht in der Serien- und Prototypenproduktion Einsatz findet. Zusammenfassend ist der Schlüssel zum Erfolg die Zusammenführung bzw. Kombination neuer Technologien nach Bild 01, auf welche folgend im Detail eingegangen wird. 36 antriebstechnik 2024/07-08 www.antriebstechnik.de
FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG BESCHICHTUNGS- TECHNOLOGIE Die Reibung in technischen Systemen ist abhängig von der Materialpaarung, der Bewegungsart und der vorhandenen Schmiermittel. Dabei neigen die metallisch dominierten Bindungen im ungeschmierten Kontakt zu hohen Reibwerten aufgrund der auftretenden Kaltverschweißungen an den Rauheitsspitzen. Kovalent gebundene Materialien zeigen diesen Effekt nicht und sind potentiell ohne Schmierstoff einsetzbar [3]. Trockenschmierstoffe wie MoS2 und Kunststoffe wie PTFE ermöglichen geringe Reibwerte aufgrund ihrer Eigenschaft, die Reibpartner voneinander zu trennen. Das funktioniert nur bei geringen Flächenpressungen gut. Tetraedrisch amorphe Kohlenstoffschichten (ta-C) sind eine Variante der diamantartigen Kohlenstoffschichten (diamond-like carbon – DLC) und bereits in verschiedenen Anwendungen auf Gleitkomponenten verbreitet. Ihr Vorteil resultiert aus der einzigartigen Kombination von hoher Härte und niedriger Reibung unter ungünstigen Schmierbedingungen oder sogar ohne Schmierung (Bild 02, Bild 03). So werden auf beanspruchten Bauteilen, z. B. Einspritz- und Ventiltriebskomponenten, Kolbenringen oder Kolbenbolzen in Automobilanwendungen inzwischen lebensdauerstabile ta-C-Schichten eingesetzt. Die industrielle Herstellung von ta-C erfolgt beispielsweise mit dem Laser-Arc-Verfahren. Damit lassen sich Schichtdicken > 10 μm bei sehr hohen Schichthärten > 50 GPa prozesssicher erreichen. Voruntersuchungen bescheinigen diesen Schichten geringe Reibwerte und Verschleißkoeffizienten im ungeschmierten Zustand schon bei moderaten Luftfeuchtigkeiten. Das Wasser in der Luft passiviert dabei die Oberfläche des ta-C, was bereits als Schmierfilm ausreicht. Die Zahnradkontur stellt eine besondere Herausforderung 1 für die haftfeste, eigenschaftshomogene Beschichtung dar. Somit bieten Low-Loss-Verzahnungen die optimale Geometrie für die Erprobung ta-C-beschichteter Zahnräder im Trockenlauf. 01 Neue Ansätze in Kombination neuester Technologien Härte / HV 10.000 8000 6000 4000 2000 02 Reibwert und Härte im ungeschmierten Zustand ta-C tetraedrisch amorpher Kohlenstoff a-C:H a-C:H:Me Diamant DLC-Schichten (Diamond-Like Carbon) MoS 0 2 , PTFE, … Edelstahl 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 Reibungskoeffizient µ © Fraunhofer IWS vertraulich Hartstoffschichten: TiN, Cr (2) N, TiAlN, MoN… Nitride, Karbide, Boride, Oxide, Karbonitride, … Hartchrom gehärteter Stahl 03 Reibwert und Verschleißkoeffizient für ta-C im ungeschmierten Zustand [4] TECHNOLOGIE DES VERZAHNUNGSWALZENS Das Verzahnungswalzen bietet eine innovative Fertigungsmöglichkeit, materialeffizient und sehr produktiv Verzahnungen umformtechnisch herzustellen. Mittels dieser Umformverfahren werden nahezu ohne Materialverlust und bei verbesserten Tragfähigkeitseigenschaften Verzahnungen walztechnisch hergestellt [7]. Das sogenannte Profil-Querwalzen ist ein inkrementelles Umformverfahren, welches verfahrensbedingt zu hohen kumulierten Umformgraden in der Randschicht der Verzahnungskontur und dabei zu einer Kornfeinung bzw. einem konturangepassten Faserverlauf des Zahnradwerkstoffes führt [9]. Die dabei erzielbaren Tragfähigkeitsverbesserungen liegen bei einer Steigerung von mindestens 10 % in der Zahnfußfestigkeit [2] und tragen unter anderem zu einer über weite Lastbereiche stabilen Verzahnungsakustik bei [8]. In der Vergangenheit konnten vielfältige Zahnradgeometrien auf Getriebewellen sowie als Losrad umformtechnisch realisiert werden. Das Verzahnungswalzen kann sowohl bei Raumtemperatur für Einsatz- und Vergütungsstähle (C < 0,6 %) als auch bei Temperaturen bis 1000 °C für höherfeste Werkstoffe angewandt werden. Neuste Entwicklungen auf dem Gebiet des Kaltumformens von Verzahnungen haben gezeigt, dass neben Doppelschräg- auch 04 FutureEdrive Demonstratoren für die Validierung im Versuchsfahrzeug www.antriebstechnik.de antriebstechnik 2024/07-08 37
Laden...
Laden...