FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG TEIL 2 TOPOLOGISCHES SCHLEIFEN BEI STIRNRADVERZAHNUNGEN Topologisches Schleifen bei Stirnradverzahnungen – vermeintlich ein Detail. Doch es leistet einen wesentlichen Beitrag, wenn es um das optimierte Einsatzverhalten von Getrieben und die Nutzung der Potenziale im Antriebsstrang geht. 1 EINLEITUNG UND ZIELSETZUNG Neben einer Fertigungsstreuung können fertigungsbedingte Abweichungen der Zahnflankenmikrogeometrien abhängig vom verwendeten Schleifverfahren auftreten und sind für das diskontinuierliche Profilschleifen und das kontinuierliche Wälzschleifen unterschiedlich ausgeprägt. Eine verfahrensbedingte Zahnflankenabweichung ist die Verschränkung, die bei der Erzeugung einer Breitenballigkeit entsteht und deren Ausprägung u. a. vom Betrag der Modifikation abhängt. [HELL15] Es kann zwischen einer verfahrensbedingten Verschränkung und einer gezielt topologisch ausgelegten Verschränkung differenziert werden. Gezielt eingesetzte Verschränkungen können, dem Verständnis der gezielt ausgelegten Mikrogeometrie nach, zur Optimierung des Einsatzverhaltens einer Verzahnung beitragen. Obwohl topologische Flankenkorrekturen großes Potenzial bieten, das Laufverhalten von Verzahnungen positiv zu beeinflussen, werden diese nur selten in industriellen Anwendungen berücksichtigt. Gründe hierfür sind u. a. fehlende Informationen über Möglichkeiten zur Definition, Qualitätsprüfung, Herstellbarkeit, zu wirtschaftlichen Auswirkungen sowie zu Potenzialen zur Verbesserung des resultierenden Einsatzverhaltens. [HELL15] Das übergeordnete Ziel des in diesem Bericht thematisierten Forschungsvorhabens war die experimentelle Untersuchung funk- tionaler Potenziale von topologischen Flankenkorrekturen am Beispiel von Verschränkungen. In diesem Vorhaben standen die beiden Schleifverfahren diskontinuierliches Profilschleifen und kontinuierliches Wälzschleifen im Fokus. In der vierteiligen Veröffentlichungsreihe werden die Ergebnisse des Forschungsvorhabens vorgestellt. Das Ziel dieses Berichtes ist der Nachweis von Potenzialen der Verschränkung zur Optimierung des Anregungsverhaltens am Beispiel einer Pkw-Serienverzahnung. In dem Zusammenhang wird der Einfluss einer gezielt ausgelegten Verschränkung zur Verbesserung des Anregungsverhaltens am Prüfstand nachgewiesen und die FE-basierte Zahnkontaktanalyse ‚FE-Stirnradkette‘ (Stirak) validiert [CAO02]. Die Bewertung des Einsatzverhaltens der verschiedenen Zahnflankentopografien erfolgt auf Basis von Prüfstandsuntersuchungen. 2 VORGEHENSWEISE ZUR UNTERSUCHUNG DES ANREGUNGSVERHALTENS Die Untersuchung des Geräuschverhaltens für die Validierung der Zahnkontaktanalyse wurde sowohl auf einer am WZL vorhanden Stirnradmesszelle als auch zum Teil in den Seriengetrieben auf End-of-Line Prüfständen bei dem Industriepartner durchgeführt. Auf der Stirnradmesszelle wurde die Drehwegabweichung als Kenngröße herangezogen, die ein sehr sensitives Validierungskriterium darstellt. Hierzu ist die Methode der Einflanken- bzw. Betriebswälzprüfung herangezogen worden. 2.1 EINFLANKEN- UND BETRIEBSWÄLZPRÜFUNG Das Ziel der Wälzprüfungen ist die schnelle Erfassung der Auswirkungen aller geometrischen bzw. lastabhängigen Abweichungen der Verzahnung auf das Übertragungsverhalten der Radpaarung. Der technische Hintergrund ist die Erfassung von Drehungleichförmigkeiten, die zur Schwingungs- und damit zur Geräuschanregung führen. Bei der Einflankenwälzprüfung handelt es sich um ein Summenprüfverfahren, bei dem sämtliche Verzahnungsabweichungen in das Messergebnis einfließen [VDI01]. Während die Einflankenwälzprüfung eine Untersuchung im lastfreien Zustand 46 antriebstechnik 2020/06 www.antriebstechnik.de
FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG vorsieht, wird die Betriebswälzprüfung bei (Nominal-) Last durchgeführt. Die erfasste Drehungleichförmigkeit wird im Allgemeinen als Drehfehler oder Einflanken-Wälzabweichung bezeichnet. Zur messtechnischen Erfassung sind an Rad- und Ritzelwelle hochauflösende Winkelschrittgeber appliziert, deren Signale ausgewertet werden. Unter Berücksichtigung der Eingriffsstrecke wird die Differenz zwischen den gemessenen Rotationswinkeln gebildet: DF(t)=r b,2 × ϕ 2 (t) – r b,1 × ϕ 1 (t) 2.2 UNTERSUCHUNGEN AUF DER STIRNRAD- MESSZELLE UND NOTWENDIGE ANPASSUNGS- KONSTRUKTIONEN Die Stirnradmesszelle ermöglicht die Untersuchung des Anregungsverhaltens von Verzahnungen unterschiedlichster Geometrien und Achsabstände bei unveränderten Umgebungseinflüssen. Die relevanten Eigenschaften des Prüfstands bestehen aus dem weiten Leistungsbereich bei hohen Torsions- und Biegesteifigkeiten des Welle-Lager-Systems und der gleichzeitig einfachen und reproduzierbaren Montage. Der Prüfstand besteht aus zwei Elektromotoren, zwei Zwischengetrieben sowie einer mittig positionierten Prüfzelle. Die Messzelle ist über drehelastische Kupplungen vom restlichen Antriebsstrang entkoppelt und gliedert sich in zwei separate Lagerböcke, die zum einen die Wellen, auf denen die Prüfverzahnungen montiert werden, und zum anderen das Messsystem führen, vgl. Bild 01. Die optischen, hochauflösenden Winkelschrittgeber erlauben die Durchführung von Einflankenwälzprüfungen und Betriebswälzprüfungen [VDI01]. Die Messung des Drehwinkels erfolgt in unmittelbarer Nähe am Zahneingriff, wodurch eine hohe Messgenauigkeit gewährleistet werden kann. [HOHL02, HELL15] Der Prüfstand bietet aufgrund vielseitiger Verstellmöglichkeiten eine hohe Flexibilität hinsichtlich der Aufnahme verschiedenster Zahnradgeometrien. So war der für dieses Projekt relevante Achsabstand zur Aufnahme der Serien-Pkw-Verzahnung realisierbar. Für die Aufnahme der Prüfverzahnungen waren Anpassungskonstruktionen notwendig. Die notwendigen Bauteile sind am WZL gefertigt worden. Für eine präzise Ausrichtung sind Dummies in Form von Zylindern notwendig, deren Außendurchmesser den Wälzkreisdurchmessern entsprechen. Diese werden auf die für die Verzahnung ausgelegten Flansche montiert, sodass der Achsabstand sowie die Achsparallelität gewährleistet werden können. Um Verzahnungen zu untersuchen, die im industriellen Umfeld eingesetzt werden, ist eine Anpassung der Radkörpergeometrie notwendig gewesen. Dementsprechend ist, wie in Bild 01 gezeigt, der Radsatz der Pkw-Verzahnung bearbeitet worden. Hierbei ist zunächst für eine eindeutige Anlagefläche bei der Formelzeichen DF(t) [µm] Drehfehler r b [mm] Grundkreisradius ϕ(t) [°] Rotationswinkel 01 Prüfaufbau zur Anregungsuntersuchung nach [KLOC17] und Konstruktive Anpassung der Pkw-Verzahnung Lagerbock Prüfverzahnung Schwingungsdämpfer Technische Daten Drehzahl n max = 4000 U/min Drehmoment M max = 1000 Nm Achsabstand a = 70 bis 150 mm Auswertegrößen Körperschall MP1: EoL Messpunkt Zugflanke 1. Zahneingriffsordnung M AN = 10 – 240 Nm ∆M AN = 10 Nm n AN = 1500 – 2500 min -1 Automobil EoL Prüfstand: Volkswagen AG 1 2 3 Messbereich: 50 g Empfindlichkeit: 100 mV/g Frequenz: 0,5 bis 12 kHz 2 x Heidenhain-ERA 180 Inkremente/U 18.000 Stirnflächen planparallel schleifen Bohrung hart-fein ausdrehen Passfedernut erodieren Bildquelle: Volkswagen AG EoL Messpunkt Bildquelle: Volkswagen AG Körperschall [m/s²] Körperschallsensor vertikal Drehgeber Körperschall [m/s²] horizontal 1 2 3 1 2 3 02 Messaufbau und Vorgehensweise zur Auswertung der Pkw-Verzahnung im End-of-Line Verzahnungsdaten m n = 1,75 mm z 1,2 = 40/29 α n = 17,5° β = +/– 31,44° b = 15,5/15,7 mm a = 71,0 mm Simulationssoftware FE-Stirnradkette 4.2 mit idealen Topografien Legende Serie ohne Verschränkung/ konjugiert VS-kompensiert Wälzschleifen mit nat. VS Profilschleifen mit nat. VS Top. Optimiert mit gezielter VS Summendrehfehler [µm] 3.0 2.0 1.0 0.0 Frequenz [Hz] Gemittelte 1. Zahneingriffsordnung M = 10 Nm M = 20 Nm 1.f z M = 240 Nm 1. Zahneingriffsordnung 1500 Drehzahl [min -1 ] 2500 V 1 V 2 V 3 10 Drehmoment [Nm] 240 03 Funktionale Auswirkungen Pkw-Verzahnung – Übersicht simulierter Drehfehler Zugflanke für Nennzahnflankenmodifikation Anregung unter Berücksichtigung von Verlagerungen Annahme der Verlagerung: Achsparallele Ausrichtung der Flanken im Nennmoment: fHβ M fHβ(M0) = fHβ,0; 0 µm 175 Nm fHβ(M175) = 0 µm fHβ,0 Verschiebung des Drehfehlerminimums durch Verschränkung C Vα1+2 = -27,65 µm C Vα1+2 = 0 µm C Vα1+2 = 23,25 µm C Vα1+2 = 13,80 µm Nennmoment 10 60 110 160 210 260 Drehmoment Antrieb [Nm] Ø www.antriebstechnik.de antriebstechnik 2020/06 47
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