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antriebstechnik 6/2019

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FORSCHUNG UND

FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG PEER REVIEWED schiebungen und Verdrehungen initialisiert. Dies entspricht der Einbausituation ohne Vorspannung (Betriebspunkt 0). Für den Fall, das bei einer starren Anstellung Reaktionskräfte aufgrund eines Presssitzes berücksichtigt werden sollen, kann die Ringiteration im Betriebspunkt 0 deaktiviert werden. Die elastische Aufweitung des Innenrings führt dann neben einer Änderung der Druckwinkel zu einer Vorspannung des Wälzlagers. Zur Bestimmung des Betriebsverhaltens im Leerlauf wird bei der gekoppelten Berechnung eines Wellen-Lager-Systems als erstes ein Gleichgewichtsjob durchgeführt, wobei die iterative Berechnung im Solver dem auf der linken Seite von Bild 05 dargestellten Ablauf folgt. Für den Ausgangszustand werden die Steifigkeitsrandbedingungen [K Vj ] an den wirksamen Knotenpositionen in die Systemsteifigkeitsmatrix addiert und so ein lineares Gesamtmodell des Wellen- Lager-Systems definiert: Statt der außen am System angreifenden Kräfte werden im Kraftvektor {F} des Differenzialgleichungssystems die an den Verbindungen wirkenden Kräfte berücksichtigt. Diese setzten sich aus den Reaktionskräften aufgrund von Knotenverlagerungen sowie den initialen Kräften, wie der Vorspannkraft der Vorspannfeder oder der Lagerreaktionskraft aufgrund eines Vorspannwegs, zusammen: Da im Ausgangszustand noch keine Knotenverlagerungen existieren, wirken im ersten Iterationsschritt lediglich die initialen Verbindungskräfte. Durch die Lösung des linearen Gleichungssystems mittels einer vorimplementierten LU-Faktorisierung werden die Knotenverlagerungen und -verdrehungen q bestimmt. Die Gesamtverformung setzt sich aus der Einfederung der Knotenverbindungen sowie der elastischen und thermischen Verformung der Balken zusammen. Alle drei Anteile sind bei jedem Iterationsschritt Bestandteil der Lösung. Damit die elastischen und thermischen Verformungen der Balken nicht mehrfach berücksichtigt werden, werden die Anteile des vorherigen Iterationsschritts vom aktuellen subtrahiert. Im nächsten Iterationsschritt werden die Verbindungssteifigkeiten der nichtlinearen Lagermodelle für die relativen Knotenverschiebungen aktualisiert. Zum Abschluss einer Iteration werden die Abbruchbedingungen geprüft. Dazu werden, wie in Bild 05 rechts, für das Beispielmodell gezeigt, für jeden Balken die wirksamen Verbindungskräfte bilanziert. Die Berechnung wird solange durchgeführt, bis die Summenkräfte für jeden Balken den Grenzwert F grenz unterschreiten: Bei der Berechnung sind insgesamt drei Iterationen miteinander verschachtelt: Gesamtmodell-, Lagerring- und Wälzkörperiteration (vgl. Bild 01 und 04). Die Genauigkeit der Berechnung wird über die Abbruchbedingungen der einzelnen Iterationen gesteuert. Die Abbruchkriterien sind so gewählt, dass die innenliegende Iteration, die Wäkzkörperiteration, die höchste Genauigkeit aufweist. Im Gesamtsystem liegt das Abbruchkriterium bei 1 N. Bei der Ringund der Wälzkörperiteration jeweils eine 10er Potenz niedriger. Auf diese Weise wird die Wechselwirkung der einzelnen Iterationen reduziert. Um den Einfluss von Temperatur und Drehzahl im Leerlauf unabhängig zu betrachten, wird der Gleichgewichtsjob insgesamt drei Mal durchgeführt. Bei der ersten Gleichgewichtsberechnung wird im Lagermodell nur der Betriebspunkt 1, also die Einbausituation mit Vorspannung, aktualisiert. Zur Berücksichtigung der aktuell am Lager wirkenden Drehzahl und Temperatur wird bei der zweiten Gleichgewichtsiteration der Betriebspunkt 2 neu berechnet. Die letzte Iteration dient dazu, die thermische axiale Dehnung der Balken zu berücksichtigen. Ausgehend von den Knotentemperaturen werden thermische Ersatzkräfte für jeden Balken berechnet: Formelzeichen A m 2 Querschnittsfläche [C] kg/s Dämpfungsmatrix E N/mm 2 E-Modul F N Kraft {F} N Kraftvektor F Grenz N Grenzkraft F therm N Thermische Ersatzkraft {F V } N Reaktionskraftvektor Verbindung K N/m Steifigkeit [K] N/m Steifigkeitsmatrix [K B ] N/m Bauteilsteifigkeitsmatrix [K V ] N/m Verbindungssteifigkeitsmatrix [M] kg Massenmatrix q m bzw. ° Verschiebung/Verdrehung {q} m bzw. ° Verschiebungs-/Verdrehungsvektor α 1/K Wärmeausdehnungskoeffizient ΔF N Kraftänderung Δu m Verlagerung Φ °C Knotentemperatur Hier beschreiben A die Querschnittsfläche, E das E-Modul, α den Wärmeausdehnungskoeffizienten und Φ i die Knotentemperaturen des Balkens. Die Knotenkräfte werden für jeden Balken im Kraftvektor F addiert. Die thermischen Knotenverlagerungen führen zu einer weiteren Verlagerung an den Verbindungsstellen, deren Wechselwirkung mit den Lagern durch die Gleichgewichtsiteration berücksichtigt wird. Nach dem Gleichgewichtsjob befindet sich das Modell im Gleichgewichtszustand und dieser bildet den Ausgangzustand für weitere Berechnungen. Mögliche weitere Berechnungen sind die statische Belastung der Spindeln, die Berechnung eines Nachgiebigkeitsfrequenzgangs, Eigenmoden oder ähnliches. Für die Berechnung des statischen Nachgiebigkeitsverhaltens wird aktuell ein explizites Verfahren verwendet. Der Lastvektor F wird in n Teillasten zerlegt, die nacheinander auf das System aufgebracht werden. Nach jeder Lösung des Gleichungssystems werden die Lagersteifigkeiten aktualisiert. Die Nichtlinearität wird so berücksichtigt, es kommt allerdings zu einer Abweichung vom exakten Ergebnis, die mit Erhöhung der Schrittanzahl abnimmt. Die beschriebene Berechnungsmethode wurde als Software mit grafischer Benutzeroberfläche, wie Bild 06 zeigt, in Matlab im plementiert. Durch die funktionale Einbindung nichtlinearer Zusammenhänge im Gesamtsystem, bietet die MTPlus genannte Software eine einfache Möglichkeit weitere Berechnungsmodelle einzubinden. 70 antriebstechnik 2019/06 www.antriebstechnik.de

PEER REVIEWED FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG VERGLEICHENDE BERECHNUNGEN Mit dem beschriebenen Berechnungsansatz ist es möglich die Montagesituation für beliebige Verspannungsszenarien und Lageranordnungen zu ermitteln. Im Folgenden werden die Wechselwirkungen zwischen den Wälzlagern unter Einfluss des Presssitzes am Innenring, der Temperatur und der Drehzahl für eine starre sowie eine elastisch angestellte Lagerung beispielhaft dargestellt. Zum Vergleich wurden die Berechnungen für die gleichen Eingabedaten mit der Berechnungssoftware Mesys (M) durchgeführt. Bild 07 zeigt oben die MTPlus (P) Modelle beider Spindelsysteme. Es werden baugleiche Hybridspindellager der Baugröße 7014 verwendet. Im Fall der starren Lagerung werden zwei Lager im Tandem gegen ein einzelnes Lager in O-Anordnung angestellt. Bei der elastisch angestellten Lagerung wird eine Tandem-O-Anordnung verwendet, wobei das hintere Lagerpaket in einer Schiebebuchse axial verschiebbar im Gehäuse montiert ist. Hier leitet eine Vorspannfeder die Vorspannkraft über die Schiebebuchse in das Lagersystem ein. Es wird ein Presssitz von 30 µm an allen Lagerstellen angenommen. Zur besseren Interpretation der Berechnungsergebnisse werden die Einflüsse getrennt betrachtet. Bei der Berechnung der Last-Verlagerungs-Kennlinien steht die Welle still und die Temperatur beträgt 20 °C. Im unteren Teil von Bild 07 sind die Last-Verlagerungs-Kennlinien beider Lagersysteme dargestellt. Die Kurven zeigen die axialen Summenkräfte an den Lagerstellen A und B über der TCP Verlagerung. Die Vorspannung wird durch eine initiale Ringverschiebung am hinteren Lager aufgebracht. Die resultierende Vorspannung beträgt bei MTPlus 1 160 N und bei Mesys 1 215 N. Im Fall der starren Anstellung ist die Steifigkeit der Lagerstelle B kleiner als die der Lagerstelle A, da dort nur ein Lager positioniert ist. Die Steifigkeitsänderung ist in Druckrichtung höher als in Zugrichtung. Hier überwiegt an der Loslagerseite der Einfluss der Vorspannfeder, da diese mit 1 N/µm im Vergleich zum hinteren Spindellagerpaket mit ca. 200 N/µm eine deutlich geringere Steifigkeit vorweist. Bei der Berechnung des thermischen Einflusses wurde eine Gehäuse- und Wellentemperatur von 40 °C angenommen und die Übertemperatur der Welle von 0 – 15 °K variiert. Bild 08 zeigt oben die axialen Lagerrektionskräfte für die einzelnen Lager (A1, A2, B1, B2) über der Übertemperatur. Durch die Erhöhung der Gehäuse- und Wellentemperatur kommt es bei der starren Lagerung zu einer Reduktion der Vorspannung, welche im Fall von MTPlus bei etwa 650 N liegt. Dies ist auf den gegenüber Stahl reduzierten Wärmeausdehnungskoeffizienten der Keramikwälzkörper zurückzuführen. Mit zunehmender Übertemperatur steigt die Lastdifferenz zwischen den beiden vorderen Lagern. Diese entsteht durch die relative axiale Dehnung zwischen den beiden Lagerpositionen. Auf diese Weise verschiebt sich der Traganteil von anfänglich etwa 50/50 zu 100/0 bei etwa 13 K Übertemperatur, wenn das vordere Lager vollständig entlastet wird. Bei der elastischen Anstellung verhalten sich die vordere und die hintere Lagerstelle aufgrund der Symmetrie gleich, sodass im Bild nur die vorderen Lager dargestellt sind. Aufgrund der relativen Dehnung zwischen den Lagern kommt es auch hier zu einer Verschiebung des Traganteils, wobei auch hier das innen liegende Lager höhere Kräfte aufnimmt. In Bild 08 ist unten die kinematische Verlagerung des TCP für beide Wellensysteme dargestellt. Aufgrund der unsymmetrischen Lageranordnung des starren Systems kommt es dort zu einer Verlagerung von etwa 10 µm bei 30 000 1/min in Richtung des hinteren Lagers. Durch die Drehzahl steigt die Steifigkeit im hinteren Lager stärker als im vorderen Lagerpaket. Auf diese Weise wird die Welle nach vorne gedrückt. Die kinematischen Effekte sind bei der elastischen Anstellung ungleich höher. Hier kommt es zu einer Verlagerung von etwa 55 µm bei 30 000 1/min. Der Einfluss des Presssitzes wurde für den vorgespannten Zustand beider Systeme betrachtet. Dazu zeigt der obere Teil der Tabelle die Werte für die Axialkraft sowie die axiale und radiale Steifigkeit der Lager beider Systeme. Im unteren Teil sind die gleichen Ergebnisse für unterschiedliche Übermaße an den Lagersitzen gezeigt. Aufgrund der elastischen Verformung der Welle zwischen den Lagern eines Lagerpakets wird das innenliegende Lager etwas stärker belastet, wobei der Unterschied sehr gering ist. Durch die Änderung des Übermaßes um 2 µm an den vorderen Lagern kommt es bei beiden Systemen zu einer signifikanten Verschiebung des Traganteils. Von der ursprünglich gleichmäßig auf beide Lager verteilten Last trägt das innenliegende Lager nun ca. 2/3. Durch die Verspannung beider Lager im Tandem tritt der Effekt bei beiden Systemen auf. Dies führt ebenfalls zu veränderten Steifigkeiten, wobei die Summe der Steifigkeit der Pakete weitergehend konstant bleibt. Die Berechnung mit Mesys zeigt qualitativ das gleiche Verhalten. Bei der Berechnung der starren Anstellung kommt es zu leichten Abweichungen, was auf unterschiedliche Berechnungsansätze bei den Lagermodellen zurückzuführen ist. Dieses Verhalten zeigt sich ebenfalls in Bild 08 oben links. Auch hier weichen die Lagerreaktionen leicht voneinander ab. Bei der elastischen Anstellung sind die Abweichungen geringer, da durch die Feder Verspannungen ausge­ Gleiches Übermaß Unterschiedlkiches Übermaß MTPlus Mesys Abweichung MTPlus Mesys Abweichung Starre Lagerung Elastisch angestellte Lagerung Einh. A1 A2 B1 A1 A2 B1 B2 ∆u µm 30 30 30 30 30 30 30 F ax N 578 582 1 160 597 602 604 596 k ax N/µm 100 100 131 101 102 102 101 K rad N/µm 267 268 334 270 271 271 270 F ax N 608 613 1 221 598 602 601 599 k ax N/µm 102 102 133 101 101 101 101 K rad N/µm 272 272 339 270 271 271 270 F ax % 4,9 5,1 5,0 0,2 0,0 – 0,5 0,5 k ax % 2,0 2,0 1,5 0,0 – 1,0 – 1,0 0,0 K rad % 1,8 1,5 1,5 0,0 0,0 0,0 0,0 Einh. A1 A2 B1 A1 A2 B1 B2 ∆u µm 28 32 30 28 32 32 30 F ax N 397 771 1 168 410 789 697 502 k ax N/µm 88 110 131 89 111 106 95 K rad N/µm 235 295 335 238 297 285 255 F ax N 419 805 1 223 409 792 696 505 k ax N/µm 89 111 132 88 111 105 95 K rad N/µm 239 297 338 237 296 284 255 F ax % 5,3 4,2 4,5 – 0,2 0,4 – 0,1 0,6 k ax % 1,1 0,9 0,8 – 1,1 0,0 – 1,0 0,0 K rad % 1,7 0,7 0,9 – 0,4 – 0,3 – 0,4 0,0 Einfluss des Presssitz www.antriebstechnik.de antriebstechnik 2019/06 71