FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG 03 Prüfstand zur Vorspannungsüberwachung 04 Einlaufverhalten des Kugelgewindetriebs Tabelle 01: Diskreten Vorspannungsklassen Zur Identifikation des Vorspannungszustand von Einzelmuttern in Kugelgewindetrieben gibt es kein direktes Messverfahren, dass die Vorspannung angibt. Aus diesem Grund ist der Anwender auf Modell- oder Signalanalysen angewiesen. Eine Modellbildung ist infolge des notwendigen Modellierungs- Vorspannungsklasse % der dynamischen Tragzahl Qualitative Vorspannung Vorspannungskraft n C3 Hoch 4,6 % ~2.100 N n C2 Mittel 2,2 % ~1.000 N n C1 Gering 0,5 % ~275 N n C0 Axialspiel – Radialspiel ~5 µm schrittene Verschleißzustände ist demzufolge unbekannt. Ein weiterer modellbasierter Ansatz wurden von Stockinger erarbeitet [STOC11]. Sein modellbasierter Ansatz bestimmt die Steifigkeit der Vorschubeinheit, um Rückschlüsse auf den Zustand zu ziehen. Jedoch erfordern die modellbasierten Verfahren ein sehr tiefes Detailwissen zur Komponente, der Anwendung und der Einbaulage; eine Umsetzung ist deshalb nur mit großem Ressourcenaufwand oder vielen Vereinfachungen zu realisieren. Darüber hinaus erfolgt die Überwachung letztendlich nur mit zuvor definierten Effekten und Randbedingungen [WALT11]. Signalanalytische Ansätze zeichnen sich nach Walther als direktes Verfahren zur Zustandsdiagnose aus [WALT11]. Im Gegensatz zu modellbasierten Verfahren wird der Zustand auf Basis einer Signalanalyse der gemessenen Signale durchgeführt. Eine Modellierung der physikalischen Zusammenhänge entfällt. Als signalanalytischen Ansatz versuchte Walther die Zustandsüberwachung auf Basis einer Trendanalyse der Temperatur in der Kugelgewindemutter umzusetzen [WALT04]. Die Untersuchungen ergaben eine nicht ausreichende Sensitivität zur Überwachung. Klein und Munzinger et al. prüften die Eignung von Beschleunigungssensoren für die Zustandsüberwachung [KLEI11, MUNZ09]. Klein konnte aufzeigen, dass die Signale von Beschleunigungssensoren grundsätzlich Aufschluss über den Zustand der Komponente geben. Er zeigte dies anhand einer Mangelschmierungs- und Pittingüberwachung [KLEI11]. Munzinger et al. waren in der Lage Ermüdungsschäden mit Beschleunigungssensoren nachzuweisen. Ein Rückschluss auf den tatsächlichen Vorspannungszustand des Kugelgewindetriebs wurde jeweils nicht aufgezeigt. Weitere Ansätze basieren auf sensorischen Aktoren oder Komponenten in Doppelmuttern, um zustandssensitive Messgrößen verfügbar zu machen [BERT12, HERD13, JUNK15]. So wurde gezeigt, dass die wirkende Vorspannung in Doppelmuttern direkt als Messgröße bestimmt werden konnte. Jedoch reduzieren diese Ansätze die Steifigkeit und Robustheit des Kugelgewindetriebs bei gleichzeitiger Kostensteigerung. Eine Übertragung der Ansätze auf Einzelmuttern ist konstruktiv nur schwer zu realisieren. Nachteilig der signalanalytischen Ansätze ist die meist höhere Anzahl an benötigten zusätzlichen steuerungsexternen Sensoren und die damit verbundenen Zusatzkosten infolge von Montage, Wartung und Auswerteeinheiten [SCHO09]. Bei Beschränkung auf steuerungsinterne Sensorik entfällt dieser Nachteil. Es wurde gezeigt, dass Verfahren und Lösungen existieren, die eine Veränderung des Komponentenzustands identifizieren. Rückschlüsse auf die Vorspannungsklasse oder den tatsächlich vorliegenden Zustand des Kugelgewindetriebs mit Einzelmutter sind nur eingeschränkt möglich. Dies kann maßgeblich darauf zurückgeführt werden, dass weitere Informationen notwendig sind und somit mehrere Überwachungsmerkmale herangezogen werden müssen. Verfahren, die die Vorspannung von Kugelgewindemuttern mit Doppelmuttern messen, sind zum aktuell Zeitpunkt für Einzelmuttern nicht verfügbar. Aus diesem Grund wird ein Ansatz auf Basis der multivariaten Auswertung mit der Hauptkomponentenanalyse zur Überwachung der Vorspannung von Kugelgewindetrieben vorgestellt. Auf Basis kostengünstiger steuerungsinterner Signale wird eine Merkmalsfusion mit anschließender Klassifizierung durchgeführt. Infolge der Merkmalsfusion werden die Informationen einer großen Anzahl an Überwachungsmerkmalen verdichtet und für die Zustandsüberwachung zugänglich gemacht. VORGEHEN ZUR SIGNALANALYTISCHEN VORSPANNUNGSKLASSIFIZIERUNG 40 antriebstechnik 2021/05 www.antriebstechnik.de
FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG 05 Beispielhafte Änderung eines steuerungsinternen und -externen Überwachungsmerkmals 06 Verteilung der Vorspannklassen Ci im Dimensionsraum der ersten beiden Hauptkomponenten; Überwachungsmerkmale des drehmomentbildenden Stroms und der Regeldifferenz aufwand industriell nur schwer umzusetzen. Signalanalysen waren bis heute nicht in der Lage direkte Rückschlüsse auf die Vorspannung zu geben. Deshalb wird im nachgestellten Vorgehen die Information des aktuellen Vorspannungszustands mit der signalanalytischen Zustandsüberwachung korreliert. Somit ist es möglich, über die Verknüpfung der Informationen, einen direkten Rückschluss auf den Vorspannungszustand zu erhalten. Die umgesetzte signalanalytische Zustandsüberwachung ist in drei Schritte gegliedert, siehe Bild 02. Ausgehend von der Datenakquise werden Signalinformationen verarbeitet und anschließend zur Zustandsbewertung herangezogen. Die Datenakquise zeichnet steuerungsinterne und -externe Signale mit dem Ziel auf, schadenssensitive Informationen bereitzustellen. Beispielsweise werden als steuerungsinternes Signal der drehmomentbildende Strom und als steuerungsexterne Signale Temperaturen und Beschleunigungen der Kugelgewindemutter bereitgestellt. Die aufgezeichneten Signale werden anschließend in Bereiche konstanter und nicht konstanter Verfahrgeschwindigkeit segmentiert. Nachfolgend werden mit Hilfe mathematischer Gleichungen die einzelnen segmentierten Messdaten in Überwachungsmerkmale überführt. Beispielsweise werden Lage und Streuungskennzahlen angewendet, wie der Mittelwert, der Median, die Standardabweichung und die Varianz. Die Veränderungen der einzelnen Überwachungsmerkmale werden im letzten Schritt analysiert und die Vorspannung bewertet. VERSUCHSAUFBAU UND -DURCHFÜHRUNG Für das Forschungsprojekt wurde am Institut ein Kugelgewinde trieb Prüfstand ausgelegt, gefertigt und in Betrieb genommen, siehe Bild 03. Der Prüfstand ermöglicht Untersuchungen am Kugelgewindetrieb unter definierten Randbedingungen. Störeinflüsse können zum einen minimiert und zum anderen gezielt im Rahmen einer Störgrößenanalyse eingebracht werden. Im ersten Schritt wurde der Kugelgewindetrieb eingefahren, um Einlauf- und Setzverhalten zu Erzeugen. Dies ermöglichte die Vernachlässigung des Effekts während der folgenden Signalanalyse. Bild 04 veranschaulicht das Setzungsverhalten der Reibpartner (Spindel, Wälzkörper, Mutter und Dichtung) über die ersten 140 km der zurückgelegten Verfahrstrecke s des untersuchten Kugelgewinde triebs. Im Anschluss wurden, als Analogie zum Vorspannungsverlust, vier diskrete Vorspannungen nachgestellt, siehe Tabelle 01. Ausgehend von einer hohen Vorspannung C3 wurde die Vorspannung bis zum Axialspiel C0 (Totalausfall) verringert. Die einzelnen Vorspannungen wurden mit einem Prüfzyklus analysiert. Hierfür wurde der Kugelgewindetrieb jeweils mit konstantem Vorschub über die Prüflänge verfahren. Zur statistischen Absicherung wurde jeder Prüfzyklus jeweils dreimal durchgeführt. VORSPANNUNGSÜBERWACHUNG EINES KUGELGEWINDETRIEBS Für die Vorspannungsüberwachung wurden 21 Überwachungsmerkmale je Sensor/Signal im Zeit und Frequenzbereich für jede diskrete Vorspannung berechnet, siehe Tabelle 02. Die gewählten Überwachungsmerkmale werden oft in der Prozess- und Zustandsüberwachung eingesetzt [TETI10]. Eine direkte Messgröße der Vorspannung ist für Einzelmuttern nicht verfügbar. Anhand dieser berechneten Überwachungsmerkmale wird der Vorspannungszustand des Kugelgewindetriebs klassifiziert. Hierfür wird die Veränderung des Überwachungsmerkmals anhand des Ausgangszustands (hohe Vorspannung) bewertet. Zunächst wurde auf Basis vorhandener Erkenntnisse, Tabelle 02: Überwachungsmerkale für die Zustandsüberwachung Überwachungsmerkmale Median Integral Form Quadratsumme Impulse Varianz Spitze-RMS-Wert Mittelwert Schiefe Interquartilsabstand Minimalwert Wölbung Standardabweichung Maximalwert Effektivwert Frequenzbandsumme Mittlere absolute Abweichung Spitze-Tal-Wert Spitze-Tal-Wert zu Effektivwert Erste und vierte Amplitude der Drehfrequenz Standardabweichung der Merkmale über die Segmente www.antriebstechnik.de antriebstechnik 2021/05 41
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