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antriebstechnik 4/2019

antriebstechnik 4/2019

Leckage [g]

Leckage [g] Förderwertverhältnis [-] CCW CW CCW CW CCW CW CCW CW CCW CW CCW CW CCW CW CCW CW Leckage [g] Förderwertverhältnis [-] CCW CW CCW CW CCW CW CCW CW CCW CW CCW CW CCW CW CCW CW FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG PEER REVIEWED Wellendrehrichtung für die Konditionierung wurde hierzu alle 10 s umgekehrt. Zwischen den Drehrichtungswechseln betrug die Wellendrehzahl 1 000 min -1 und die Ölsumpftemperatur 60 °C. Der bidirektionale Konditionierungsvorgang soll Aufschluss darüber geben, ob ein gezielter „Einlaufzyklus“ das Förderwertverhältnis beeinflusst. Das Förderwertverhältnis bei bidirektionaler Konditionierung beträgt 2,3. Trotz intermittierendem Drehrichtungswechsel während der Konditionierung des Dichtrings ist das Förderwertverhältnis deutlich größer als bei einem unidirektionalen Einlaufzyklus mit einer Wellendrehzahl von 100 min -1 , also mit kleiner Reibzahl. Zum Vergleich ist in Bild 14 auch das Förderwertverhältnis bei unidirektionaler Konditionierung mit einer Wellendrehzahl von 1 000 min -1 abgebildet. Unmittelbar nach dem bidirektionalen Konditionierungsvorgang sollte der Dichtring theoretisch eine drehrichtungsunabhängige Förderwirkung mit einem Förderwertverhältnis von 1 aufweisen. Das positive Förderwertverhältnis von 2,3 zeigt, dass der Dichtring auch hier in Konditionierungsrichtung einen größeren Förderwert aufweist als in die entgegengesetzte Konditionierungsrichtung. Da aber keine Konditionierungsrichtung vorhanden ist, muss das positive Förderwertverhältnis mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Untersuchungsmethode zurückzuführen sein. Die Drehrichtungsabhängigkeit der Dichtringförderwirkung bildet sich vermutlich durch die zehnstündige Förderwertmessung mit konstanter Wellendrehrichtung im Anschluss an die Konditionierung aus. Aufgrund der ständigen Veränderung der Belastungsrichtung während der Konditionierung scheint sich kein stabiler Zustand im Material des Dichtrings einzustellen. WIEDERHOLVERSUCHE MIT RWDR EINES ZWEITEN HERSTELLERS Die konditionierungsrichtungsabhängige Förderwirkung von Elastomer RWDR aus NBR tritt auch bei RWDR aus NBR eines zweiten Herstellers auf (Bild 15). Dabei wurde die Laufzeit für die Konditionierung etwas verändert. Trotzdem sind die Förderwertverhältnisse qualitativ gut vergleichbar. Die Förderwertverhältnisse aller 12 Versuche sind positiv und liegen in einem Bereich zwischen 1,5 und 6,5. Damit bestätigen die Versuche mit den Dichtringen des Herstellers 2, dass RWDR aus NBR in Konditionierungsrichtung eine größere Förderwirkung aufweisen als in die entgegengesetzte Konditionierungsrichtung. DAUERLAUFUNTERSUCHUNGEN Es wurden 32 Dauerlaufuntersuchungen an acht Versuchswellen durchgeführt, um die Auswirkungen der Konditionierung auf die Dichtheit in der realen Anwendung zu untersuchen. Die Dauerlaufversuche erfolgten ausschließlich im konventionellen Einbauzustand. Für jeden der 32 Versuche wurde ein neuer Dichtring eingesetzt. Je Welle wurden Dauerlaufuntersuchungen in beide Dreh- und Einbaurichtungen durchgeführt. Dabei wurde je Dauerlauf eine Laufzeit von 96 h mit konstanter Wellendrehrichtung und 15 Versuchsergebnisse zum Förderwertverhältnis für Dichtringhersteller 1 (links) und Dichtringhersteller 2 (rechts) 8 6 4 2 Ölsumpftemperatur 30 °C Ölsumpftemperatur 60 °C Einbaurichtung A Einbaurichtung B Ölsumpftemperatur 60 °C Dichtringhersteller 1 4,55 1,89 8 6,40 5,51 6 4 2,55 2,07 2 Dichtringhersteller 2 5,73 5,23 3,73 4,12 2,11 1,64 0 10 h 96 h 240 h 0 96 h 192 h 288 h Laufzeit Laufzeit 16 Leckage bei Dauerlaufuntersuchungen mit Drehrichtungswechsel der Welle 1,0 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 CW = Clockwise CCW = Counterclockwise CW = Clockwise CCW = Counterclockwise 1,0 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 n = 1.000 min -1 n = 100 min -1 Einbau A Einbau B Dichtsystem mit Welle 1 Einbau A Einbau B Dichtsystem mit Welle 2 Einbau A Einbau B Dichtsystem mit Welle 3 Einbau A Einbau B Dichtsystem mit Welle 4 Einbau A Einbau B Dichtsystem mit Welle 9 Einbau A Einbau B Dichtsystem mit Welle 10 Einbau A Einbau B Dichtsystem mit Welle 11 Einbau A Einbau B Dichtsystem mit Welle 12 152 antriebstechnik 2019/04 www.antriebstechnik.de

PEER REVIEWED FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG Wellendrehzahl gewählt. Unmittelbar im Anschluss an die 96 h wurde die Drehrichtung der Welle für 1 h umgekehrt. In Bild 16 ist die Leckage in dieser einen Stunde aufgetragen. Die Versuche mit den Wellen 1–4 (Bild 16 links) wurden bei einer Wellendrehzahl von 1 000 min -1 durchgeführt. Die Versuche mit den Wellen 9–12 (Bild 16 rechts) wurden bei einer reduzierten Wellendrehzahl von 100 min -1 durchgeführt. Die Betriebsbedingungen wurden in Anlehnung an die Bedingungen der Konditionierung für die Funktionsuntersuchungen gewählt. Daher wurden die Dauerlaufuntersuchungen mit einer Ölsumpftemperatur von 60 °C durchgeführt. Die Dauerlaufuntersuchungen bestätigen die Ergebnisse der Funktionsuntersuchungen. Bei einem Drehrichtungswechsel der Welle tritt bei fast allen Dichtsystemen sofort Leckage auf. Die Versuchsdurchführung mit der reduzierten Wellendrehzahl 100 min -1 führt zu einer deutlichen Reduzierung der Leckage. Vereinzelte Dichtsysteme sind sogar dicht. Dies ist auf die reduzierte Reibung zurückzuführen und passt mit den Ergebnissen der Funktionsuntersuchungen hervorragend überein. HYPOTHESE ZUR KONDITIONIERUNGS­ RICHTUNGSABHÄNGIGEN DICHTFUNKTION RWDR aus Elastomer bilden im Betrieb axiale Verschleißstrukturen aus. Diese sind maßgeblich am Rückfördermechanismus des Dichtrings beteiligt. Die Rückförderwirkung entsteht durch die betriebsbedingte Verzerrung dieser Strukturen in Umfangsrichtung. Der Rückfördermechanismus bildet sich in beide Wellendrehrichtungen aus, da das Elastomer auch in beide Richtungen gedehnt werden kann. Bei längerem Betrieb in eine Wellendrehrichtung treten Alterungsvorgänge im Elastomer auf. Diese äußern sich in einer Elastomerverhärtung, bedingt durch Nachvernetzungseffekte der Schwefelbindungen im NBR. Diese Nachvernetzungsvorgänge führen zu einem „Einfrieren“ der Verschleißstrukturen in Richtung der Wellenrotation. Trotz der zunehmenden Verhärtung der Dichtkante bleibt die Förderwirkung erhalten, weil die notwendige Verzerrung der Verschleißstrukturen gewährleistet bleibt. Erfolgt jedoch nach längerem Betrieb des Dichtsystems in eine Wellendrehrichtung eine Drehrichtungsumkehr der Welle, können die Verschleißstrukturen aufgrund der geringeren Verformungsfähigkeit des Elastomers nicht mehr so stark ausgelenkt werden. Die geringere Verzerrung der Verschleißstrukturen nach einem Drehrichtungswechsel der Welle führt zu einer geringeren Förderwirkung des Dichtrings. Im Extremfall kann dies sogar zu einer Förderwirkung führen, die nach außen gerichtet ist. In diesem Fall ist mit einem Ausfall der Dichtung infolge Leckage zu rechnen. ZUSAMMENFASSUNG Bei längerem Betrieb in eine Wellendrehrichtung bilden RWDR aus NBR eine Vorzugsrichtung aus. In Vorzugsrichtung weist der Dichtring eine ausgeprägte Förderwirkung auf. Wird die Wellendrehrichtung umgekehrt, weist der Dichtring nur noch eine deutlich verminderte Förderwirkung auf. Aus diesem Grund kommt es bei Drehrichtungswechseln nach längerem Betrieb in eine Wellendrehrichtung häufig zu Leckage. Das Förderwertverhältnis zwischen den Wellendrehrichtungen hängt stark von den Betriebsbedingungen ab. Hier konnte ein Zusammenhang zwischen dem Reibverhalten und dem drehrichtungsabhängigen Förderverhalten des Dichtrings hergestellt werden. Je größer die Reibung im Dichtkontakt, desto größer ist auch die Drehrichtungsabhängigkeit der Förderwirkung. Dauerlaufuntersuchungen bestätigen diese Erkenntnisse. Bei einem Drehrichtungswechsel der Welle nach einer Laufzeit von 96 h und einer Wellendrehzahl von 1 000 min -1 tritt bei allen durchgeführten Dauerlaufuntersuchungen unmittelbar Leckage auf. Werden die gleichen Versuche mit einer reduzierten Wellendrehzahl von 100 min -1 durchgeführt, fällt die Leckage unmittelbar nach dem Drehrichtungswechsel der Versuchswelle deutlich geringer aus. Vereinzelte Versuche sind sogar dicht. Literaturverzeichnis: [1] Forschungsvereinigung Antriebstechnik 696 I: Lastkollektive RWDR. Abschlussbericht eingereicht. 2015 [2] DIN 3760 – Radial-Wellendichtringe. Mai 1972 [3] MÜLLER, H. K.: Abdichtung bewegter Maschinenteile. Waiblingen: Medienverlag Müller. 1990 [4] JENISCH, Bernhard: Abdichten mit Radial-Wellendichtringen aus Elastomer und Polytetrafluorethylen. Universität Stuttgart. Dissertation. 1991 [5] KAMMÜLLER, Matthias: Zur Abdichtwirkung von Radialwellendichtringen. Universität Stuttgart. Dissertation. 1986 [6] RINNBAUER, Meike: Technische Elastomerwerkstoffe. Verlag Moderne Industrie. 2006 [7] BAUMANN, Matthias: Abdichtung drallbehafteter Dichtungsgegenlaufflächen – Messung, Analyse, Bewertung und Grenzen. Universität Stuttgart. Dissertation. 2017 [8] Forschungsvereinigung Antriebstechnik 570 III: Einfluss weichgeschliffener Gegenlaufflächen auf das Dichtverhalten von Radial-Wellendichtungen. FVA-Heft Nr. 1230. 2017 DIE AUTOREN Dipl.-Ing. Jan Totz, Akademischer Mitarbeiter Dichtungstechnik, Universität Stuttgart Dr.-Ing. Matthias Baumann, Leiter Messtechnik, Universität Stuttgart Dr.-Ing. Frank Bauer, Bereichsleiter Dichtungstechnik & StutCAD, Universität Stuttgart www.antriebstechnik.de antriebstechnik 2019/04 153