HANNOVER MESSE I SPECIAL Digitalisierung on Track Intelligentes Transportsystem für höchste Effektivität in der Produktion Die Digitalisierung reicht nicht aus, um Losgröße 1 und die individualisierte Massenproduktion umzusetzen. Es sind auch innovative Ansätze in Mechanik und Antriebstechnik nötig. Genau die bilden den Kern eines neuen, intelligenten Transportsystems, mit dessen Konzeption sich adaptive Maschinen und Anlagen für eine flexible und wirtschaftliche Produktion bauen lassen. Carmen Klingler-Deiseroth ist freie Fachjournalistin aus München Produzierende Unternehmen suchen nach Lösungen, um neue Produkte immer schneller auf den Markt zu bringen und wettbewerbsfähig zu bleiben. Die He rausforderung dabei ist: Eine möglichst hohe Gesamtanlageneffektivität – auch Overall Equipment Effectiveness (OEE) genannt – und Produktivität selbst bei der individualisierten Massenproduktion in Losgröße 1 zu erreichen. „Die viel diskutierte Digitalisierung auf der Basis von Kommunikationstechnologien und Software reicht dazu nicht aus“, sagt Robert Kickinger, Manager Mechatronic Technologies bei B&R. Auch der Transport der Produkte in Maschinen und Anlagen muss auf die neuen Anforderungen hin optimiert werden, was B&R getan hat: „Mit der Entwicklung des intelligenten Transportsystems AcopoStrak haben wir revolutionäre Möglichkeiten für wegweisende neue Maschinenkonzepte geschaffen“, sagt Kickinger. Weiche maximiert OEE Welche Eigenschaften machen das intelligente Transportsystem für die Automatisierung von Prozessen nun so einzigartig? „Da ist zum einen die Weiche. Sie funktioniert rein elektromagnetisch und damit völlig verschleißfrei“, so Kickinger. Wie bei einer Weggabelung lassen sich mit der Weiche des AcopoStrak nicht Autos, sondern Produktströme zusammenführen oder trennen. „Die Weiche löst bei voller Geschwindigkeit der Shuttles aus und beeinträchtigt damit nicht die Produktionsgeschwindigkeit“, hebt Kickinger hervor. Die Weiche ermöglicht es, Massenprodukte wie einen Sechserpack mit Getränken individuell mit unterschiedlichen Geschmacksrichtungen in Echtzeit zusammenzustellen – drei hiervon, zwei davon und eins davon – und zwar ohne Umbaumaßnahmen an der Hardware. Auch lassen sich mit der Weiche nach einer Qualitätskontrolle fehlerhafte Produkte an Ort und Stelle aussortieren. Das wirkt sich im Gegensatz zu herkömmlichen Maschinen oder Anlagen, bei denen mangelhafte Produkte meist bis zum Ende durch die Produktion geschleust und erst dann entnommen werden, positiv auf die Gesamtproduktivität aus. Parallele Bearbeitung Die Möglichkeit, mit dem Transportsystem parallel produzieren zu können, steigert ebenso die Produktivität. Mithilfe von 34 antriebstechnik 4/2018
SPECIAL I HANNOVER MESSE Weichen lässt sich ein Produktstrom auf mehrere Bearbeitungsstationen verteilen und anschließend wieder zusammenführen. Einzelne Bearbeitungsschritte, die länger dauern, verlangsamen nicht mehr die Geschwindigkeit der Produktion. „Damit braucht der Endkunde für einen höheren Output keine proportional größere Maschinenstellfläche mehr“, sagt Kickinger. Der AcopoStrak führt also zu einer höheren Produktivität pro Fläche, was letztendlich zu einem höheren ROI beiträgt. Maschinen oder Anlagen, die auf dem intelligenten Transportsystem basieren, können bei Bedarf modular und flexibel um einzelne Trackelemente und Bearbeitungsstationen erweitert werden, um die Produktivität zu steigern. Damit wird die skalierbare Maschine Realität. Ebenso lassen sich mit AcopoStrak Maschinen und Anlagen bauen, die hochflexibel auf Fehler reagieren. Tritt z. B. bei einem Ventil einer Abfüllanlage ein Fehler auf, wird dieses Ventil nicht mehr angefahren. Es entsteht kein Ausschuss durch das de fekte Ventil – der Qualitätsfaktor der OEE-Kennzahl steigt. Umrüstung bei voller Geschwindigkeit Eine weitere Eigenschaft des Transportsystems ist, dass sich die Shuttles im laufenden Betrieb und ohne Werkzeug tauschen lassen. Das sorgt für eine hohe Verfügbarkeit. Beim Produktwechsel muss der Bediener lediglich die Räder der gerüsteten Shuttles auf die Führungen setzen. Durch Permanentmagnetkraft werden die Shuttles dann am Track gehalten. Noch effizienter wird die Umrüstung, wenn eine Servicelinie am Track vorhanden ist. „Wir können uns das wie bei einer Wechselbank beim Eishockey vorstellen“, erklärt Kickinger. Auf der Servicelinie werden die neuen Shuttles angebracht und über eine Weiche in die Produktivlinien des Tracks eingeschleust. Zeitgleich werden die nicht mehr benötigten Shuttles auf die Servicelinie umgeleitet. „All das passiert bei voller Produktionsgeschwindigkeit“, betont Kickinger. Das flexible Design des AcopoStrak erlaubt es, alle möglichen offenen und geschlossenen Formen auf der Basis einer Gitterstruktur zu bauen und miteinander zu kombinieren. Das Track-System ist im Kern ein Linearmotor, der modular aus vier Elementen aufgebaut wird: ein Geraden-Element, ein 45°-Element und zwei 22,5°-Elemente, eins nach rechts und eins nach links gebogen. „Der AcopoStrak passt sich optimal an die Gegebenheiten der Produktionsanlagen an“, sagt Kickinger und ergänzt: „Zudem ermöglicht er neue Maschinendesigns, die bisher nicht umsetzbar waren.“ Hochdynamisch und flexibel Das intelligente Transportsystem ist nicht nur flexibel, sondern auch hoch performant. Es verfügt über eine Beschleunigung von mehr als 5 g und erreicht eine Maximalgeschwindigkeit von 4 m/s. Der minimale Produktabstand liegt bei 50 mm. Kickinger unterstreicht: „Ein System mit diesen Performancedaten in Kombination mit Weichen und der weitreichenden Designflexibilität ist ein Novum am Markt.“ Dadurch lässt sich die Produktivität steigern und der ROI maximieren, ist sich der Mechatronikspezialist sicher. Damit der AcopoStrak in kurzer Zeit zum Laufen kommt, stellt B&R umfangreiche Software-Funktionen zur Verfügung. Der Applikationscode ist in der Simulation ebenso wie auf der realen Hardware uneingeschränkt lauffähig. „Der Anwender kann während der Entwicklung beliebig zwischen Simulation und realer Hardware wechseln“, sagt Kickinger. Das verkürzt Entwicklung und Inbetriebnahme erheblich. Die Programmierung des Tracks erfolgt prozessorientiert. Der Programmierer beschreibt Regeln, die den Produktfluss am Track definieren. Das geht schneller, als eine hohe Anzahl an Achsen oder Shuttles einzeln zu programmieren. Der Entwickler der Applikations-Software wird zudem durch eine integrierte Kollisionsvermeidung entlastet, die für einen reibungslosen Fluss der Produktion sorgt. Mit dem AcopoStrak hat B&R eine Lösung geschaffen, mit der sich flexible und modulare Anlagen hochrentabel betreiben lassen. „Mit unserem System ermöglichen wir eine hohe Gesamtanlageneffektivität, eine hohe Rendite und kurze Time-to-market“, sagt Kickinger. Damit rückt die individuelle Massenproduktion in großem Stil in greifbare Nähe. www.br-automation.com/de 01 Das intelligente Transportsystem AcopoStrak erreicht Beschleunigungen von mehr als 5 g und eine Maximalgeschwindigkeit von 4 m/s 02 Durch die elektromagnetische Weiche können Produktströme bei voller Geschwindigkeit getrennt und wieder zusammengeführt werden 03 Beim Produktwechsel setzt der Bediener nur die Räder der gerüsteten Shuttles auf die Führungen, auf den restlichen Linien läuft die Produktion in voller Geschwindigkeit weiter 04 Das flexible Design des AcopoStrak erlaubt es, alle offenen und geschlossenen Formen auf Basis einer Gitterstruktur zu bauen und miteinander zu kombinieren antriebstechnik 4/2018 35
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