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antriebstechnik 3/2020

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antriebstechnik 3/2020

SOFTSTARTER

SOFTSTARTER PRÜFSTANDTECHNIK FÜR FAHRRÄDER „ZU VIEL AN FEST, FÜHRT ZUM BRUCH“ Seit der Erfindung des Laufrades im Jahre 1817 hat sich das Fahrrad zu einem anspruchsvollen Hightech-Gefährt entwickelt. Biker vertrauen auf die Funktion und Tüchtigkeit ihres Gefährts. Damit die Zuverlässigkeit des Materials sichergestellt werden kann, haben sich auf Seiten der Fahrrad-Hersteller zahlreiche Prüfungstechniken etabliert. Ein Blick in die Historie verrät, dass die Geburtsstunde des Fahrrads gar nicht so weit zurückliegt. Begonnen hat die Entwicklung 1817 in Mannheim mit dem Karlsruher Karl Drais. Mit seiner Erfindung übertrug er das Zweiradprinzip auf ein Laufrad mit lenkbarem Vorderrad. Die von ihm so bezeichnete Laufmaschine wurde in der Öffentlichkeit – abgewandelt von seinem Namen – bald als Draisine bezeichnet. Dass seine patentierte Erfindung nach über zwei Jahrhunderten in zahlreichen Fällen zu technischen Wunderwerken mutiert ist, hätte sich Drais nicht träumen lassen. Schon bald nach der Erfindung erfreute sich das Laufrad öffentlicher Begeisterung. Mehr als zweihundert Jahre später zeugte der Internationale Tag des Fahrrads am 3. Juni 2020 von der inzwischen erlangten Bedeutung eines ebenso selbstverständlichen, wie umweltfreundlichen Verkehrsmittels. Deutschland befindet sich, von der Corona-Krise beflügelt, im „Fahrradrausch“, titelte das Magazin Stern an diesem Tag. Über die Anzahl der Verkehrsteilnehmer auf den wenigen Straßen und die Verkehrstüchtigkeit seines Laufrades hat sich Drais seinerzeit keine Gedanken machen müssen. Auch nicht um die technische Zuverlässigkeit der wenigen Bauteile seiner Erfindung. Das ist Dr. Dipl.-Ing., Dipl.-Betrw. Wolfgang Strecker, MBA ist Geschäftsführer von Dr. Strecker Ingenieurbüro GmbH & Co. KG in Essen und Gersfeld in der Rhön heute anders: Institutionen wie der TÜV Süd unterziehen zahlreiche Modelle diverser Hersteller einem umfangreichen Prüfprozedere. Die Ergebnisse werden für die CE-Konformität dokumentiert. BIS ZU 100 000 TESTZYKLEN BEI 1 300 N Die in der Handwerkersprache überlieferte Erkenntnis, dass „zu viel an fest, zum Bruch führen kann“, gilt uneingeschränkt für kraftgeregelte Ermüdungsversuche an sicherheitsrelevanten Bauteilen von Fahrrädern der Neuzeit. In Prüfmaschinen strapaziert man deswegen Fahrradteile, wie Rahmen, Gabel, Sattelstütze, Lenker mit Vorbau und Antriebe in dynamischen Versuchen mit wechselnden oder schwellenden Prüfkräften im Bereich von 100 bis 2200 N. Bei Festigkeitsversuchen unter statischen Bedingungen haben sich Kräfte bis 10 kN durchgesetzt. Prozeduren, die auf den ersten Blick noch recht einfach anmuten, offenbaren aber bei genauem Hinsehen einen komplexen Versuchsaufbau. Generell betrachtet, bestehen Prüfstände aus präzise gefertigten Maschinenteilen inklusive Pneumatik sowie Mess- und Regeltechnik. Das Zusammenspiel der verschiedenen Komponenten verdeutlicht die Mechatronik des Prüfungsprozederes. In dynamischen Versuchen werden über Pneumatikzylinder und Kraftmessdosen Pedalkräfte beim Fahrrad simuliert. Damit wird die Stabilität und Haltbarkeit des Tretlagers getestet. Diese Prüfung mit 6 antriebstechnik 2021/03 www.antriebstechnik.de

SOFTSTARTER pedalierenden Kräften von max. 1 300 N umfasst 100 000 Zyklen. Wie im praktischen Betrieb werden abwechselnd das rechte und linke Pedal mit der Prüfkraft beaufschlagt. Nach etwa zwölf Stunden ist der Versuch abgeschlossen, sofern es nicht vorher schon zu einem Ausfall der geprüften Systeme gekommen ist. Die Lenkungsteile werden ebenfalls mit den von Kraftmessdosen geregelten Prüfkräften bis zu 1 300 N ausgesetzt. Das Prüfsystem wurde von der Firma EFBE entwickelt, auf der IFMA erstmals 1990 von ihr vorgestellt und gehört heute zu den international anerkannten Prüfstandards. GELENKKÖPFE ÜBERTRAGEN DIE KRAFT Für die Konstruktion einer Prüfmaschine braucht es eine Auswahl und Kombination formstabiler Bauteile. Beim Versuchsaufbau wird auf die notwendigen Freiheitsgrade beteiligter Komponenten geachtet. Verspannungen und schließlich Schäden an Gelenkteilen und Kraftmessdosen lassen sich dadurch vermeiden. Die Präzision der Teile wirkt sich auf den zielgenauen Kraftfluss aus und kann in Folge dessen das Prüfergebnis verfälschen. Exemplarisch betrachtet ist der Einsatz von Gelenkköpfen nach DIN ISO 12240-4 für die Kraftübertragung empfehlenswert. Sie bieten rotative Freiheitsgrade bei sehr geringer Reibung. So tolerieren die eingesetzten Gelenkköpfe bis zu einem definierten Grad die im Prüfprozess hervorgerufenen Lagerbewegungen, wie Kippen, Schwenken oder Rotieren. Sie sind daher an fast allen Stellen der Prüfeinrichtung in zwei Größen eingebaut. Da die Prüfkräfte mit 100 bis 2 200 N vorgegeben sind, fällt die Auslegung der Gelenkköpfe durch in Tabellenwerten ersichtliche maximale Tragzahlen leicht. Die versuchstypischen Schwenkbewegungen bis zu 7,5° bei einer Prüffrequenz von 2 bis max. 5 Hz verursachen keine Relativgeschwindigkeiten. So kann der Verschleiß der Gelenkköpfe verhindert werden. Für präzise Messergebnisse im Leichtbau sollte die bewegte Masse an den Prüfmaschinen so gering wie möglich ausfallen. Bekanntlich verursacht eine bewegte Masse auf der Prüflingsseite, die vor der Kraftmessdose sitzt, ihrer Trägheit wegen Kräfte. Diese Kräfte werden von der Steuerung aber nicht erfasst. Das Phänomen geringer Massen wird im Versuchsaufbau zur Stabilitätsprüfung der Sattelstütze verfolgt, wo der Prüfling eine dynamische Prüfung mit 1 300 N bei 100 000 Schwingspielen standhalten muss. PRÜFSTAND-LAGERELEMENTE MIT WENIG LAGERLUFT Im Versuchsaufbau wird eine wichtige Stelle gelegentlich übersehen, und die steckt künftig im Lager der Gelenkköpfe. Die bei Prüfständen vorgegebenen Toleranzen erfordern eine Auswahl von exakten Lagerelementen mit kleiner Lagerluft. Zu den Lagerelementen eines Gelenkkopfes gehört der aus legiertem Vergütungsstahl mit der Werkstoffnummer 1.7225 (42CrMo4) gefertigte Innenring. Dieser ist gehärtet, geschliffen und gefinisht. Der Freiraum zwischen Innen- und Außenring des Lagers ist mit dem Festschmierstoff PTFE ausgekleidet. Die Kombination dieser Materialien ermöglicht den wartungsfreien Betrieb. Beim Einbau des Gelenkkopfes in die Prüfmaschine wird darauf geachtet, dass ein versagender Prüfling den maximalen Schwenkwinkel der Gelenkköpfe von 13° nicht überschreitet. Nicht nur der Gelenkkopf, sondern auch die Kraftmessdose könnte bei größerem Winkel beschädigt werden. Kollateralschäden, wie sie bei einem versagenden Bauteil auch an der Prüfmaschine auftreten könnten, sollen durch eine anschlagsfreie Rotationsbewegung ausgeschlossen werden. FAHRRÄDER SIND TECHNISCH ANSPRUCHSVOLLER GEWORDEN Fahrräder sind nicht mehr das einfache und mit reiner Muskelkraft betriebene Fortbewegungsmittel. Viele Fahrräder haben inzwischen das Niveau von „Hightech“ erreicht. Komponenten, Werkstoffe und Bauformen reichen von Einfachausführungen bis hin zu Hybriden. Letztere kommen für ihre technische Ausstattung und futuristisches Aussehen nicht mehr ohne synthetische Werkstoffe sowie elektronische Mess- und Regeltechnik aus. Der Elektromotor kommt als kraftvoller Energielieferant in vielen Fällen dazu. Wenngleich die Fahrradtypen unterschiedlich ausgestattet sind, ist ihnen doch gemeinsam, dass für alle Ausführungen die Ansprüche in Sicherheit und Qualität größer geworden sind. Geprüft werden daher von bedeutenden Herstellern alle sicherheitsrelevanten Bauteile an Fahrrädern. Der vorliegende Bericht will zeigen, dass man Bauteilprüfungen mit immerhin 100 000 Zyklen und großen Kräften in dynamischen oder statischen Versuchen sehr ernst nimmt. Im Anschluss an die Prüfungen erfolgen meist weitere Analysen, die Zustand, Verschleiß oder Schadensmerkmale der Bauteile untersuchen. Dahinter steckt die Absicht, Erkenntnisse für sinnvolle, konstruktive Änderungen bei der Werkstoffauswahl, der Verbindungstechnik und schließlich der Warmbehandlung zu gewinnen. Ergänzend zu konstruktiven Änderungen werden Methoden der FEM-Analyse bemüht. Prüfungen für sicherheitsrelevante Bauteile von Fahrrädern sind daher kein Luxus, sondern Pflicht. So gelingt die Produktion zukunftsträchtiger, nachhaltiger Erzeugnisse für eine umweltfreundliche und nachhaltige Mobilität. Fotos: Aufmacher: Gemeinfrei (Gemälde), Dr. W. Strecker; 01-03: EFBE Prüftechnik GmbH www.strecker-technik.de 01 02 01 In Prüfmaschinen strapaziert man Fahrradteile, wie Rahmen, Gabel, Sattelstütze und Lenker mit Vorbau und Antriebe im Bereich von 100 bis 2 200 N 02 Pneumatikzylinder und Kraftmessdosen simulieren die Dynamik der Pedalkräfte beim Fahrradfahren. Damit wird die Stabilität und Haltbarkeit des Tretlagers getestet www.antriebstechnik.de antriebstechnik 2021/03 7