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antriebstechnik 3/2017

antriebstechnik 3/2017

Drehmomentbedarf des

Drehmomentbedarf des aktuellen Arbeitsprozesses erforderlich. Aufgrund der Funktionsweise der ASM kann diese nicht beliebig schnell zwischen den Zuständen aktiv und inaktiv wechseln. Je nach Maschinenparametern und der Leistungsfähigkeit der installierten Wechselrichter müssen unterschiedlich lange Auf- und Entmagnetisierungszeiten berücksichtigt werden. Diese sind erforderlich, damit der Rotorfluss der Maschine entsprechend ihrer Rotorzeitkonstante vollständig auf- bzw. abgebaut und somit der Zustand aktiv bzw. inaktiv erreicht werden kann [MVG08]. Diese Zeiten können bei zunehmender Maschinengröße bis in den Sekundenbereich reichen und müssen daher zur Gewährleistung eines sicheren Betriebs in einer Betriebsstrategie berücksichtigt werden. Liegen rein deterministische Arbeitsprozesse vor, so können physikalische Prozessmodelle oder Look-Up-Tables verwendet werden, um dem Antriebssystem Informationen über den zukünftigen Drehmomentbedarf bereitzustellen. Liegen jedoch nicht deterministische Prozesse wie im Fall des Kautschukinnenmischers vor (siehe Beitrag 1), so besitzt häufig nur der Anwender das erforderliche Wissen in Form von Erfahrungswerten. Diese können dem Antriebssystem in der Regel jedoch nicht in einfacher Form zur automatisierten Auswertung bereitgestellt werden. Um die Freiheitsgrade eines MMDS dennoch autonom durch das System selbst koordinieren zu lassen und somit einen maximalen Anwenderkomfort zu gewährleisten, sind neuartige Methoden erforderlich. Der hier verfolgte Ansatz basiert auf der Idee, das Erfahrungswissen über den Arbeitsprozess von dem Antriebssystem selbständig aufbauen zu lassen und der Betriebsstrategie somit alle erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen. Es wurde ein neuronales Formelzeichen Formelzeichen Einheit Bedeutung C 1 ; C 2 ; C 3 ; β; γ Berechnungskonstanten zur Gleichungsvereinfachung E ab [Ws] abgegebene Energie E zu [Ws] zugeführte Energie L 2 [H] Rotorinduktivität P V,MMDS [W] Verlustleistung eines MMDS P x [W] Leistung R 1 [Ω] Statorwiderstand R 2 [Ω] Rotorwiderstand T ab,grenz [Nm] Grenzdrehmoment, ab dem aus energetischer Sicht zwischen Schaltzuständen gewechselt werden muss T ab [Nm] Abtriebsdrehmoment des Antriebssystems T max [Nm] Maximaldrehmoment eines Motors in Abhängigkeit des vorliegenden MMDS- Schaltzustandes bzw. Maximaldrehmoment des MMDS-Schaltzustandes selbst T nenn [Nm] Nenndrehmoment i μ [A] Magnetisierungsstrom (Scheitelwert) n nenn [1/min] Nenndrehzahl t Prozess [s] Dauer eines Arbeitsprozesses z p [/] Polpaarzahl n [/] \ [1/min] Anzahl der Motoren im MMDS \ Drehzahl M [H] Hauptinduktivität m [/] Strangzahl t [s] Zeit α [/] Drehmomentverteilungskoeffizient η [/] Wirkungsgrad ω [rad/s] Winkelgeschwindigkeit Netz entworfen, welches während des Betriebs aus standardisierten Prozessparametern des Kautschukinnenmischers das charakteristische Prozessverhalten bezüglich des Drehmomentverlaufs erlernt. Als Prozessparameter wurden dazu ausschließlich Messwerte verwendet, welche üblicherweise zur Prozesskontrolle erfasst werden und somit bereits in bestehenden Anlagen zur Verfügung stehen. Die Aufgabe des neuronalen Netzes ist es, auf einem gleitenden Prädiktionshorizont mit einer Ausdehnung von mehreren Sekunden den zukünftigen Drehmomentbedarf vorherzusagen. Nachgeschaltete Überwachungsalgorithmen prüfen die Güte der Prädiktion und wählen unter Berücksichtigung der Auf- und Entmagnetisierungszeiten der Motoren zulässige Transitionen zwischen den optimalen Schaltzuständen des Antriebssystems aus. Sollte keine ausreichende Prädiktionsgüte vorliegen oder sollten temporär keine zulässigen Transitionen existieren, so wird das MMDS mit vollständig aktivierten Motoren betrieben [SZ16]. Mit Hilfe realer Produktionsdaten mehrerer unterschiedlicher Reifenmischungen wurde die in Bild 05 dargestellte Netzstruktur entworfen. Es war das Ziel, das Netz auf unterschiedliche Mischprozesse mit einer für das MMDS ausreichend hohen Prädiktionsgüte anwenden zu können, ohne dabei prozessspezifische Anpassungen im Bereich der Datenvorverarbeitung vornehmen zu müssen. Das Netz besitzt 70 Eingänge, zwölf Neuronen mit sigmoider Tangens-Hyberbolicus Übertragungsfunktion in jedem der beiden Hidden Layer und fünf Neuronen mit unbeschränkter, linearer Übertragungsfunktion in der Ausgabeschicht. Konzipiert ist es als vollständig verknüpftes Feedforward-Netzwerk. Eingangsseitig werden dem Netz die letzten zehn Messwerte von sieben charakteristischen Prozessparametern mit einer Abtastfrequenz von 1 Hz zugeführt (detailliertere Informationen hierzu in [SZ16]). Die fünf Ausgänge prädizieren dann auf Basis dieser Informationen das Prozessdrehmoment innerhalb der nächsten 5 Sekunden. Durch das neuronale Netz kann das Antriebssystem das Prozessverhalten selbstständig erlernen und somit ein auf Erfahrungswissen basierendes BlackBox-Prozess-Modell erstellen. Auf Basis dieses Modells kann es die Betriebsfreiheitsgrade vollständig autonom koordinieren, sobald eine ausreichende Prädiktionsgüte vorliegt. Der Anwender muss somit kein Erfahrungswissen hinzufügen, wodurch der Anwenderkomfort des MMDS dem eines konventionellen SMDS entspricht. Aufgrund der Lernfähigkeit und der Adaptionsfähigkeit an nicht-zeitdeterministische Prozesse wird das System als „intelligent“ bezeichnet. Die verwendete Betriebsstrategie ist demnach als intelligente Betriebsstrategie anzusehen. Sie besteht aus zwei wesentlichen Komponenten und ist schematisch in Bild 01 dargestellt. Der grüne Block der künstlichen Intelligenz enthält das neuronale Netz sowie die nachgeschalteten Überwachungsalgorithmen. Zu Beginn des Arbeitsprozesses wird das MMDS ausschließlich im Schaltzustand 15 betrieben, da noch kein Erfahrungswissen aufgebaut werden konnte. Wenn das Netz nach einigen Arbeitszyklen trainiert wurde und eine ausreichend hohe Prädiktionsgüte aufweist, so werden auf dieser Basis die optimalen Schaltzustände der nächsten fünf Sekunden ermittelt und dem Block der Control Allocation (CA) mitgeteilt. Dieser enthält die Informationen über die optimale Drehmomentverteilung eines jeden Schaltzustandes in Form der Drehmomentverteilungskoeffizienten. Die CA kann somit den Gesamtdrehmomentsollwert der überlagerten Drehzahlregelung auf die einzelnen Sollwerte der Motorstromreglungen aufteilen. Danksagung Die in dieser Beitragsreihe verwendeten Arbeitsprozessdaten wurden mit freundlicher Unterstützung von der Continental Reifen Deutschland GmbH Korbach bereitgestellt. 80 antriebstechnik 3/2017

MEHRMOTORANTRIEBSSYSTEME Für den Einsatz der intelligenten Betriebsstrategie ist ausschließlich eine Soft-SPS oder eine Kommunikationsschnittstelle zwischen einem herkömmlichen PC und der Antriebssystemsteuerung erforderlich. Das Training des neuronalen Netzes wird in einer Nicht- Echtzeitumgebung ausgeführt. Die Daten des trainierten Netzes werden im Anschluss an die Berechnung den Echtzeitregelalgorithmen zur Verfügung gestellt. Die reine Ausführung des neuronalen Netzes und die Berechnung der Drehmomentaufteilung erfordern keine besonderen Rechenressourcen, sodass sie auch auf den im Vergleich zu PC-CPUs häufig leistungsschwächeren CPUs konventioneller Industriesteuerungen ausgeführt werden können. Experimentelle Validierung Um die zuvor beschriebenen Freiheitsgrade und deren Auswirkungen auf das Antriebssystembetriebsverhalten im Zusammenspiel mit der intelligenten Betriebsstrategie experimentell zu untersuchen, wurden mehrere Simulationen an dem Prüfstand-MMDS durchgeführt. Das Antriebssystem wurde dazu in der in Tabelle 1 aufgeführten Konfiguration verwendet. Die intelligente Betriebsstrategie wurde mit Hilfe eines dSPACE DS1006 Systems und eines handelsüblichen PCs realisiert. Die Motoren wurden durch Komponenten der Siemens Sinamics S120 Baureihe angesteuert und geregelt, welche über eine Profibus-Schnittstelle mit dem dSPACE System kommunizierten. Bild 06 zeigt die gemessenen MMDS-Wirkungsgrade in unterschiedlichen Betriebsmodi bei einer konstanten Motordrehzahl von 1 500 1/min. Die gestrichelten, roten Linien deuten wiederum die Umschaltungen zwischen den Schaltzuständen an. Im Vergleich mit Bild 04 wird deutlich, dass die gemessenen Wirkungsgrade ca. 10 % unterhalb der durch die Zielfunktion (6) approximierten Werte liegen. Dieser Unterschied ist maßgeblich auf die Vernachlässigung der Eisenverluste zurückzuführen. Die theoretisch ermittelten Formen der Wirkungsgradverläufe und die Unterschiede zwischen den einzelnen Betriebsmodi stimmen jedoch sehr gut mit der Messung überein. Zur Überprüfung der Funktionsweise der intelligenten Betriebsstrategie wurde schließlich der Produktionsprozess einer Reifenmischung simuliert. Dieser bestand aus insgesamt 24 aufeinanderfolgenden Batchprozessen. Bild 07 zeigt im oberen Diagramm exemplarisch den Drehmoment- und Drehzahlverlauf einer dieser Kautschukmischungen. Der Produktionsprozess wurde einmal unter Verwendung der intelligenten Betriebbstrategie und einmal unter ausschließlicher Nutzung der optimalen Drehmomentverteilung im Schaltzustand 15 am Prüfstand simuliert. Nach sechs der 24 Mischprozesse hatte die Betriebsstrategie ein ausreichendes Erfahrungswissen aufgebaut und begann die elektrische Rekonfigurierbarkeit entsprechend des erlernten BlackBox-Prozess-Modells zu nutzen. Die resultierenden Drehmomentverläufe der vier Motoren sind exemplarisch im mittleren Diagramm von Bild 07 dargestellt. Zusätzlich sind an zwei Stellen die durch die Betriebsstrategie eigestellten Schaltzustände des MMDS angegeben. Das untere Diagramm in Bild 07 stellt schließlich die Antriebssystemenergieeffizienz der beiden Betriebsmodi dar. Die Effizienz wurde nach Gleichung (1) ermittelt. Ab dem siebten Prozess wurde der Freiheitsgrad der elektrischen Rekonfigurierbarkeit autonom durch die intelligente Betriebsstrategie genutzt. Aufgrund des in diesem Betriebsmodus höheren Teillastwirkungsgrades konnte die Effizienz der nachfolgenden Mischprozesse um durchschnittlich 2,8 % gesteigert werden. Zusammenfassung und Ausblick Die vorgestellten Untersuchungen zeigen, dass MMDS gegenüber konventionellen SMDS erweiterte Freiheitsgrade besitzen. Aufbauend auf einer theoretischen Beschreibung wurden Ansätze und Methoden erläutert, um diese gewinnbringend während des MMDS-Betriebs zu nutzen. Es konnte gezeigt werden, dass eine global optimale Kombination der Freiheitsgrade existiert, mit der eine maximale Antriebssystemenergieeffizienz realisiert werden kann. Weiterhin wurde mit der Integration eines neuronalen Netzes in die Betriebsstrategie ein Weg aufgezeigt, mit dem die vollständig autonome Freiheitsgradnutzung durch das Antriebssystem möglich wird. Die theoretisch hergeleiteten Eigenschaften und Freiheitsgradauswirkungen konnten mit Hilfe des Prüfstand-MMDS experimentell validiert werden. Die Ergebnisse zeigen, dass ohne mechanische Anpassungen des Antriebssystems ausschließlich durch softwaretechnische Maßnahmen das Betriebsverhalten positiv beeinflusst werden kann. Neben den vorgestellten Ansätzen existieren weitere Potentiale, um die Energieeffizienz dieser Antriebssystemklasse zu steigern. Bisher wurden die Motorparameter als temperaturunabhängig und konstant angenommen. Die vorgestellten Gleichungen können jedoch um die Berücksichtigung von Temperaturabhängigkeiten erweitert werden. Zukünftig kann dies eine online Anpassung der Betriebsstrategie an sich betriebsbedingt ändernde Motorparameter ermöglichen. Weiterhin können die Eisenverluste in die Optimierung mit einbezogen werden, um den Einfluss unterschiedlicher Drehzahlen auf die Antriebssystemverluste zu berücksichtigen. Neben diesen Aspekten wird die Integration der mechanischen Rekonfigurierbarkeit (siehe Beitrag 2) in die intelligente Betriebsstrategie eine wesentliche Rolle weiterer Forschungsarbeiten zu MMDS einnehmen. Literaturverzeichnis: [Alt11] Alt, Werner. Nichtlineare Optimierung – Eine Einführung in Theorie, Verfahren und Anwendung. Wiesbaden : Vieweg+Teubner Verlag, 2011. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. 978-3-834-1558-3. [Ben03] Benker, Hans. Mathematische Optimierung mit Computeralgebrasystemen – Einführung für Ingenieure, Naturwissenschaftler und Wirtschaftswissenschaftler. Berlin, Heidelberg : Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2003. 3-540- 44118. [GK02] Geiger, Carl und Kanzow, Christian. Theorie und Numerik restringierter Optimierungsaufgaben. Berlin, Heidelberg : Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2002. 3-540-42790-2. [GS05] Guzzella, L. und Sciarretta, A. Vehicle Propulsion Systems – Introduction to Modelling and Optimization. Berlin, Heidelberg : Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2005. 3-540-25195-2. [Kno11] Knoke, Tobias. Entwurf und Betrieb hybrid-elektrischer Fahrzeugantriebe am Beispiel von Abfallsammelfahrzeugen. Aachen : Shaker Verlag, 2011. 978-3-8322-9762-6. [MVG08] Müller, Germar; Vogt, Karl und Ponick, Bernd. Berechnung elektrischer Maschinen. Weinheim : WILEY-VCH Verlag, 2008. 6., völlig neu bearbeitete Auflage. 3-527-40525-9. [PBH13] Parkinson, Alan R.; Balling, Richard J. und Hedengren, John D. Optimization Methods for Engineering Design – Application and Theory. Provo : Bringham Young University, 2013. http://apmonitor.com/me575/uploads/Main/ optimization_book.pdf. [Sch07] Schröder, Dierk. Elektrische Antriebe – Grundlagen: Mit durchgerechneten Übungs- und Prüfungsaufgaben. Berlin, Heidelberg : Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2007. 3., erweiterte Auflage. 978-3-540-72764-4. [SZ16] Strop, Malte und Zimmer, Detmar. Intelligent Operating Strategy for an Internal Rubber Mixer‘s Multi-Motor Drive System Based on Artificial Neural Network. ETFA2016 – 21st IEEE International Conference on Emerging Technologies and Factory Automation. Berlin : IEEE, 2016. 978-1-5090-1314-2. Verpasst? Sie haben Teil 1 und 2 dieser Artikelserie verpasst oder möchten diese gerne noch einmal lesen? Die Artikel stehen unter folgenden Links zum Downloaden bereit: Teil 1: http://bit.ly/2kmre5s Teil 2: http://bit.ly/2khgIK9 antriebstechnik 3/2017 81