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antriebstechnik 12/2015

antriebstechnik 12/2015

SIMULATION I SPECIAL 01

SIMULATION I SPECIAL 01 Außentemperatur eines Tanks während der Umströmung mit Luft 02 Schwapp-Verhalten einer Tank-Füllung während der Maschinenbeschleunigung darüber bestehen, welche physikalischen Gesetzmäßigkeiten das Verhalten des Unter suchungsobjektes dominieren. Die Eignung einer bestimmten Simulationsmethode hängt von der physikalischen Domäne ab, in der sich die untersuchten Effekte und Vorgänge abspielen. Beispiele für unterschiedliche Domänen sind: Elastomechanik, Wärmetransportprobleme, Elektrostatische, elektrodynamische und magnetische Phänomene, Strömungsvorgänge, Mehrkörperdynamik, Statisches und dynamisches Verhalten von Antriebssystemen, Steuerungs- und Regelungstechnik, Phänomene mit interagierenden Domänen usw. Über Felder und Netze Die den ersten vier Beispielen zu Grunde liegende Physik basiert auf den stationären Eigenschaften oder der zeitlichen Veränderung von Feldern. Bei skalaren Feldern wird jedem Punkt im Raum eine ungerichtete physikalische Größe zugeordnet (Temperatur, Druck, Feldstärke, usw.). Gerichtete Größen wie Geschwindigkeiten, Kräfte oder Flussgrößen werden durch Vektorfelder beschrieben. Die Erstellung eines Rechenmodells erfolgt i.d.R. über die geometrische Konstruktion von Körpern, von Begrenzungsflächen für Flüssigkeiten bzw. Gase oder über die Definition anderer räumlich ausgedehnter Objekte. Materialeigenschaften der jeweiligen Medien werden vorgegeben und räumlich verteilte Randbedingungen wie Einspannbedingungen, externe Kräfte, Ladungs- oder Temperaturquellen definiert. Nach dieser geometriebasierten Beschreibung des Systems werden die Objekte bzw. Räume in ein feines Netz zerlegt und so in eine Vielzahl kleinerer (endlich großer – also finiter) Elemente geteilt. Auf diese werden jeweils vereinfachte mathematische Modellansätze angewendet. Daraus resultieren oft sehr große Systeme partieller Differen tialgleichungen, die von der jeweiligen Software gelöst werden. Die Ergebnisse können in unterschiedlichster Weise dargestellt werden. So lassen sich etwa räumlich verteilte skalare Größen über Farben oder gerichtete Größen über Vektorfelder veranschaulichen. Animierte Darstellungen schaffen Klarheit über den Ablauf instationärer Vorgänge. Die Einsatzmöglichkeiten dieser Me thoden sind vielfältig. Temperatur-, druck- oder kraftbedingte Spannungsverteilungen in Bauteilen sowie elastische oder plastische Verformungen liefern wertvolle Informationen zur Optimierung der Konstruktion. Die Definition von Kontaktbedingungen erlaubt die Betrachtung des Zusammenwirkens von Komponenten in größeren Baugruppen (z. B. Klemmkräfte oder kollisionsbedingte Spannungsspitzen). Modalanalysen zeigen die Eigenschwingungsformen mit den zugehörigen Frequenzen. Im Zeitbereich ermöglicht die Vorgabe transienter Randbedingungen die Analyse komplexer zeitlicher Abläufe. Für die Entwicklung fluidischer Antriebskomponenten bietet die Strömungsmechanik wertvolle Ansätze. Strömungsbedingte Druckabfälle, Verwirbelungen, Strömungskräfte auf bewegliche Objekte oder auch Kavitationsphänomene liefern interessante Ansätze zur Optimierung von Bauteilen und zur Gestaltung von Strömungskanälen. Die Analyse von Wärmetransportphänomenen gibt Hilfestellung zur Entwicklung effizienter Kühlsysteme. Mehrphasenberechnungen (Interaktion unterschiedlicher Medien) bieten weitere Möglichkeiten wie z. B. zur Betrachtung der Ausbreitung ungelöster Luft in Öl oder zur Untersuchung von Schwapp-Vorgängen von Ölfüllungen in zwangsbewegten Hydrauliktanks. Die bisher vorgestellten Methoden basieren auf Modellen mit verteilten Parametern, d. h. die Modellparameter und die skalaren oder vektoriellen Ergebnisgrößen der Simulation sind ortsabhängig. Im Bereich der Antriebstechnik werden diese Verfahren häufig bei der Entwicklung von Komponenten wie Ventilen, Zylindern, Pumpen, Speichern oder Steuerblöcken eingesetzt, da hier die Gestalt der Bauteile großen Einfluss auf Eigenschaften wie Festigkeit, Strömungsverhalten oder auch auf elektromagnetische Effekte hat. Konzentration aufs System Bei antriebstechnischen Systemuntersuchungen interessiert eher das Zusammenspiel einer Vielzahl von Komponenten und Signalübertragungsgliedern, deren jeweiliges Verhalten durch wenige „konzentrierte Parameter“ beschrieben wird. Die Ergebnis größen sind meist skalare und zeitab hängige Signale wie Drücke, Volumen ströme, Geschwindigkeiten, Leistungen oder Regelabweichungen. Die Definition solcher Modelle kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Die aufwendigste Methode besteht darin, die modell beschreibenden Differentialgleichungen (DGLn) in einer geeigneten Programmiersprache zu definieren und das Gesamtsystem mit Hilfe eines Gleichungslösers zu lösen. Diese Vorgehensweise erfordert umfassende Kenntnisse im Bereich der physikalischen Modellbildung und der numerischen Mathematik. Besonders bei Systemen, die durch zusätzliche algebraische Zwangsbe- 50 antriebstechnik 12/2015

SPECIAL I SIMULATION 03 Simulationsmodell einer Maschinensteuerung 04 Systemsimulation durch Simulator-Kopplung dingungen beschrieben werden (differentialalgebraische Systeme DAE), ist die direkte Programmierung aufwendig. Viele kommerzielle Software-Tools bieten Hilfestellung in Form leistungsfähiger Skript sprachen und umfangreicher mathematischer Bibliotheken an. Integrierte Solver übernehmen die Lösung der definierten Gleichungssysteme. Besonders einfach wird die Modellbeschreibung durch die standardisierte objektorientierte Skript- Sprache Modellica, zu der umfangreiche Modell-Bibliotheken für Komponenten unterschiedlicher physikalischer Domänen existieren. Viele moderne Simulationssysteme können Modellica-basierte Modelle interpretieren und lösen. Die meisten Systemsimulatoren stellen grafische Editoren zur Verfügung, mit deren Hilfe die Modellierung über Blockschalt bilder oder technische Schaltpläne erfolgen kann. Dadurch werden die Modelle besonders übersichtlich und können einfach bearbeitet werden. Die Erstellung der erforderlichen Gleichungssysteme erfolgt automatisiert. Im Bereich der hydraulischen Antriebstechnik hat sich die Systemsimulation seit vielen Jahren als außerordentlich hilfreich erwiesen. Komplexe Systeme wie mobilhydraulische Steuerungen oder industrielle Mehrachssysteme können einfach modelliert und eingehenden Analysen unterzogen werden. Typische Fragen, die mit derartigen Simulationen beantwortet werden, gelten der Stabilität von Antrieben, der Genauigkeit und Reaktionsgeschwindigkeit von Stellvorgängen, der geeigneten Dimensionierung von Komponenten, den optimalen Regelungsstrategien, Leistungsbilanzen, der Laststeifigkeit von Antrieben, Kavitationsproblemen, Schwingungen in Leitungssystemen, der Optimierung aller relevanten Systemparameter, usw. Häufig sind hydraulische Aktuatoren in kinematische Mechanismen eingebunden, mit deren Hilfe Massen bewegt oder Kräfte in die jeweilige Maschine eingeleitet werden. Diese Kräfte wirken auf die Antriebe zurück und beeinflussen die Dynamik des Gesamtsystems. Typische Beispiele sind die Arbeitskinematik von Baggern, Bewegungssysteme mit mehreren Freiheitsgraden oder Kniehebelsysteme in Pressen. Die Berücksichtigung der damit verbundenen physikalischen Effekte kann über die Ergänzung von Algorithmen zur Beschreibung von Mehrkörpersystemen erfolgen. Eine alternative Methode ist die Software- Kopplung zwischen dem Antriebs-Simu lator und einem Mehrkörper-Simulationsprogramm. Diese MKS-Systeme sind spe zialisiert auf die Modellierung und Simulation von dreidimensionalen Starr körper mecha - nismen, können aber unter Umständen auch elastomechanische Effekte von nachgiebigen Teilstrukturen berücksichtigen. Die Kopplung erfolgt über Softwareschnittstellen, die für den Austausch der erforder lichen Signale sorgen (Kräfte, Bewegungsinformationen, usw.) und darüber hinaus das Zusammenspiel der beiden Gleichungs löser organisieren. Mit solchen gekoppelten Simulationen können hochgenaue Abbilder der realen Maschine aufgebaut werden, die den Gesamt verbund von Antriebssystemen, Maschinen funk tionen, prozessbedingten Kräften sowie der Steuerungs- und Regelungstechnik berücksichtigen. Somit kann die gesamte Maschine in einer sehr frühen Entwicklungsphase auf den „virtuellen“ Prüfstand gestellt und kostensparend optimiert werden. Es wird Echtzeit! Simulationsmodelle können nicht nur mit Modellen anderer Simulationsprogramme kommunizieren. Ebenso möglich ist die Kopplung von Simulationssystemen mit Steuerungs-Hardware oder die Interaktion von Modellen mit Personen über Kommunikations-Schnittstellen zu HMI-Geräten. Somit kann etwa Steuerungssoftware an virtuellen Maschinen in Betrieb genommen werden (sogar bevor die Maschine existiert) oder Menschen gefahrlos in die Bedienung von Maschinen eingewiesen werden. Diese Prozesse können die Realität nur dann exakt abbilden, wenn die virtuellen Prozesse in ihrem natürlichen Zeitablauf simuliert werden (Echtzeit-Simulation). Um dies zu gewährleisten, sind optimierte Modell- und Solver-Algorithmen erforderlich. Vor allem aber sollte die Simulation auf Rechnersystemen implementiert werden, deren Hardware und Betriebssystem spezielle Echtzeitbedingungen erfüllen (z. B. gesicherte Taktraten). Die Simulationstechnik liefert wertvolle Ansätze, um die Entwicklung von Antriebssystemen ganzheitlich zu unterstützen. Angefangen vom Entwurf der Komponenten, über die Konzeption und Optimierung von Antriebssystemen bis hin zur Vereinfachung der Inbetriebnahme bieten moderne Softwarewerkzeuge einen unverzichtbaren Beitrag zur Wahrung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit. Fotos: Bilder 01 + 02: Hydac International GmbH; Bilder 03 + 04: marpitec GmbH www.marpitec.com www.hydac.com antriebstechnik 12/2015 51