FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG GERÄUSCHMINDERUNG EINFLÜSSE AUF DIE NVH-PERFORMANCE BEI DER ZAHNRADAUSLEGUNG – TEIL 2 Die Geräusch-Emissionen von Zahnradgetrieben bei Elektrofahrzeugen sind ein großes Problem. Durch eine hohe Genauigkeit der verwendeten Zahnräder lässt sich bekanntlich sowohl die Lebensdauer erhöhen als auch die Vibrationsanregung, die sogenannte NVH (Noise-Vibration-Harshness)-Performance, und damit das Geräusch verbessern. Viele EV-Hersteller schreiben deshalb für die Herstellung der Zahnräder eine hohe bis sehr hohe Qualität nach ISO 1328 vor. Getriebeentwurf für ein EV Lightweight Differenzial. Darstellung des Schemas im Sketcher von KISSdesign und Ansicht des 3D-Models nach Vorauslegung in KISSdesign [1] 2 DER EINFLUSS DER HERSTELLQUALITÄT AUF DIE NVH-PERFORMANCE 2.1 PROBLEMSTELLUNG Wie zuvor besprochen kann die Fertigung von vorgegebenen Modifikationen, insbesondere von topologischen Modifikationen, schwierig sein. Der Konstrukteur wünscht natürlich, dass seine – z. B. speziell für vibrationsarme Zahnradauslegungen im EV- Bereich vorgegebenen – Modifikationen möglichst formgenau eingehalten werden, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen. In der Praxis wird insbesondere die Profil-Formabweichung stark eingeschränkt. Teilweise werden hier Vorgaben gemacht, welche fast nicht mehr herstellbar sind, und dementsprechend die Zykluszeit und damit die Herstellkosten wesentlich erhöhen. Die Frage stellt sich deshalb, ob die geforderte hohe Qualität überhaupt noch wesentliche Verbesserungen bringt, oder ob beispielweise eine gut ausgelegte Profilmodifikation nicht mehr Wirkung zeigt als die reine Reduktion der zugelassenen Herstellabweichungen. Die Auswertung der Profil- und Flankenlinien bei Zahnradmessungen zeigt immer eine Streuung des Signals, welchem meistens eine gewissen Grund-Welligkeit überlagert ist. Die Größe der Welligkeit beeinflusst somit direkt die resultierende Profilund Flankenlinien-Formabweichung. Es ist logisch, dass Welligkeiten auf der Zahnflanke die Ursache von Vibrationsanregungen sind oder sein können [4]. Andererseits ist auch bestätigt worden, dass die Anregung nicht proportional zur Amplitude oder zur Länge der Welligkeit sein muss [5]. Eine gewisse Welligkeit kann sogar eine Verbesserung des Geräusch- 36 antriebstechnik 2022/11 www.antriebstechnik.de
FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG verhaltens ergeben. Am FZG der TU München wurden entsprechende Versuche gemacht und nachgewiesen, dass mit einer genau vorgegebenen Welligkeit eine deutliche Geräuschverbesserung erzielt werden kann [6, 7]. Hiervon ausgehend ist die Idee entstanden, auf eine theoretisch optimal ausgelegt Verzahnung (mit und ohne Modifikationen) zusätzlich eine Welligkeit aufzubringen und damit zu prüfen, welchen Einfluss eine solche „Verfälschung“ auf die gewünschten Eigenschaften hat. Zunächst sollte ein Zahnpaar im theoretischen, fehlerfreien Zustand mit Kontaktanalyse (unter Last) untersucht werden auf die üblichen wichtigen Eigenschaften wie Drehwegabweichung, Kraftanregung, Herztsche Pressung, Verlust etc. Anschließend wird die gleiche Verzahnung mit einer zusätzlichen Welligkeit versehen, damit nachgerechnet, und die Abweichung von den Resultaten der ersten Berechnung bestimmt. Die Größenordnung der Welligkeit sollte sinnvollerweise der Formabweichung (f fα für das Profil, bzw. f fα für die Flankenlinie) gemäß der vorgesehenen Verzahnungsqualität (z. B. nach ISO 1328) entsprechen. 2.2 ANWENDUNG IN DER BERECHNUNG Um diese Berechnung durchzuführen, wurde in Kisssoft [1] im Tab ‚Herstellung‘für den Anwender eine Tabelle eingeführt, in welcher Herstellabweichungen definiert werden können. Die fertigungsabhängige Abweichung der Flanke kann entsprechend der Tabelle simuliert werden, als Welligkeit nur in Profilrichtung, nur in Flankenrichtung oder in Bearbeitungsrichtung. Eingaben können auch kumuliert werden durch Mehrfacheingaben von Abweichungen. Eine wichtige Problematik bei der Bestimmung des Einflusses der Welligkeit auf den Zahneingriff ist, dass Welligkeit aus Herstellung von Zahn zu Zahn sowie von Werkstück zu Werkstück variieren kann. Die Länge der Welle, der Start der Welle (Bild 04) sowie die Amplitude wird variieren nach dem Zufallsprinzip. Dies ist gut ersichtlich auf Auswertungen von Zahnrad-Messmaschinen [5]. Um die Streuung dieser Parameter zu analysieren, muss eine große Anzahl von Berechnungen durchgeführt werden. Die Welle wird mit Amplitude, Länge und Start kreuzvariiert, für jede Variante werden über eine Kontaktanalyse die wesentlichen Ergebnisse berechnet und dann dargestellt. Wenn dieses Vorgehen Schritt für Schritt mit manuellen Berechnungen durchgeführt werden muss, dann wird es extrem zeitaufwändig. Der Einsatz der in Kisssoft [1] eingebauten Skript- Sprache ist hier eine gute Lösung. Mit einem Skript-Editor kann der Berechnungsingenieur innerhalb der Software eigene Funktionen schreiben und ausführen. Dies erlaubt dann die Berechnung der Kontaktanalyse mit variierter Welligkeit automatisiert in großer Zahl durchzuführen, die Resultate zu speichern und in einer Übersicht darzustellen. 2.3 ANWENDUNG BEI EINEM INDUSTRIEGETRIEBE 2.3.1 PROFIL-FORMABWEICHUNGEN Als erstes Beispiel wird die Methode an einem Industriegetriebe ohne Modifikationen eingesetzt. Die betrachtete Abtriebsstufe hat Modul 6 mm, Zähnezahl 26:75, Zahnbreite 26 mm und 5000 Nm Abtriebsdrehmoment. Die vorgeschriebene Qualität für die einsatzgehärteten Räder nach ISO 1328 ist 6; die zulässige Profil-Formabweichung f fα (Bild 05) beträgt 12 μm. Berechnet wird der Drehwegfehler (PPTE) bei unterschiedlichen Herstell-Welligkeiten. Die Doppel-Amplitude (Spitze-Tal- Wert) wird von 0 bis 12 μm variiert. Eine Doppel-Amplitude von 2*6 μm entspricht der maximal zulässigen Profil-Formabweichung (12 μm) bei Qualität 6. Bei vorgeschriebener Qualität 3, 4 Betrag: Faktor 1: Faktor 2: 04 Darstellung der Welligkeit im Profildiagramm Welligkeit (Doppelamplitude) in mm Wellen-Länge in Modul Distanz ab Kopf in Modul 05 Profilabweichungen nach ISO 1328-1 [8] oder 5 wären es Doppel-Amplituden von 2.1, 3.0 oder 4.3 μm. Bild 06 zeigt das Resultat, wenn die Doppel-Amplitude von 0 bis 12 mm, die Länge von 3 bis 9 mm und die Distanz ab Kopf mit 0, 25, 50 und 75 % der Wellenlänge variiert wird. In der Grafik werden alle PPTE-Ergebnisse mit gleicher Amplitude über der gleichen Abszisse aufgetragen; damit wird die Bandbreite der Ergebnisse in Abhängigkeit der Länge und des Startwinkels dargestellt. Bei entsprechender Amplitude wird der PPTE folglich innerhalb des dargestellten Intervalls liegen. Der PPTE der fehlerfreien Verzahnung beträgt 16.7 μm. Bei einer Toleranz Q4 nimmt der PPTE im Mittel um 11 % zu, und liegt innerhalb eines Bereichs von 15.2 - 22.0 μm. Bei Q6 ist die Zunahme im Mittel 21 %, innerhalb 12.8 – 27.7 μm. Bedenkt man, dass durch eine angepasste Profilmodifikation der PPTE um 50 und mehr Prozent gesenkt wird, ist eine Erhöhung von 21 % durchaus annehmbar. Die Vorgabe Q6 für diese Verzahnung ist folglich in Ordnung, die Herstellkosten für Q6, gegenüber Q4, sind deutlich günstiger. Bei der Verlustleistung ist die Zunahme unbedeutend, im Mittel ergibt sich eine Abnahme von 1 %. Bei der Belastung hingegen ist der Einfluss größer, die maximale Hertzsche Pressung erhöht sich bei Q6 im Mittel um 11 % (Bild 07). www.antriebstechnik.de antriebstechnik 2022/11 37
Laden...
Laden...
Laden...