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antriebstechnik 11/2018

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SPS IPC DRIVES

SPS IPC DRIVES 2018 I SPECIAL Sicherheit geht vor Höhere Anlageneffizienz durch optimale Auslegung von Rücklaufsperren In der Schwerindustrie spielen Bremsen, Freiläufe und Rücklaufsperren eine elementare Rolle, aber auch überall dort, wo Waren und Material mit fördertechnischen Einrichtungen bewegt werden. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, bei einem Versagen der Antriebe den Rückwärtslauf und das unkontrollierte Beschleunigen der Anlage zu verhindern. Es ist daher wichtig, dass diese Komponenten sehr präzise spezifiziert und ausgelegt werden. Rücklaufsperren sind ein elementarer Sicherheitsbaustein, um unkontrollierten Richtungs- und Tempowechsel unter Schwerkrafteinfluss zu verhindern. Eine voll beladene und blockierte Bandanlage kann den Antrieb mit enormen Drehmomenten belasten. Mit entsprechendem Know-how und fundiertem Wissen über die vorherrschenden Einsatzbedingungen ist es jedoch möglich, die Rücklausperre kompakt und kosteneffizient auszulegen und den Antriebsstrang trotzdem sicher vor Überlast zu schützen. Auch unter dem Gesichtspunkt des technischen Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung verdienen Rücklaufsperren erhöhte Aufmerksamkeit. Die Auslegungsgrundlagen Für die korrekte Auslegung der Rücklaufsperre benötigt der Anlagenkonstrukteur exakte Daten zu den an der Förderstrecke anliegenden Drehmomenten. Im Zweifel arbeiten viele Kunden und Konstrukteure mit einem größeren Sicherheitsfaktor, obwohl man eine Überdimensionierung und unnötige Kosten natürlich vermeiden möchte. Mit moderner Simulationssoftware und Erfahrungswissen können die auftretenden Drehmomente in einer Förderanlage sehr genau bestimmt werden. Dem Freilaufhersteller helfen diese Informationen, die Leistungsdaten der Rücklaufsperre in Zusammenarbeit mit dem Kunden genau auf die zu erwartenden Drehmomente abzustimmen. Im Idealfall wird die Rücklaufsperre parallel zum Antriebsaggregat konstruiert, da das Zusammenspiel aller Komponenten maßgeblich das dynamische Verhalten der Anlage bestimmt. Rücklaufsperren können entweder auf der schnell laufenden Getriebewelle direkt an das Getriebegehäuse angeflanscht oder extern auf dem Wellenende der langsam laufenden Getriebewelle montiert werden. Aus Gründen der höheren Wartungsfreundlichkeit – das Dr. Torsten Kretschmer ist Technischer Leiter bei der Stieber GmbH in Heidelberg Getriebe kann abgebaut werden, ohne das Band zu entladen – bevorzugen einige Anwender ein separat von der Förderstrecke montiertes Getriebe. In diesem Fall ist eine externe Rücklaufsperre zwischen Förderstrecke und dem Getriebe die beste Lösung. Dabei muss die Komponente eine entsprechend hohe Drehmomentkapazität aufweisen, was sich in der Baugröße und unter Umständen den Anschaffungskosten niederschlägt. Kann auf die genannten Vorteile bei der Instandhaltung verzichtet werden, empfiehlt sich meist eine getriebemontierte Ausführung der Rücklaufsperre. Da hier die Drehmomentbelastung geringer ist als bei der externen Montage, kann sie i. d. R. kleiner dimensioniert und kostengünstiger eingekauft werden. Lastausgleich und Drehmomentbegrenzung Die Anzahl und Konfiguration der Rücklaufsperren ist größtenteils anwendungsabhängig. Bei Fördereinrichtungen mit Mehrfachantrieben und einer entsprechenden Anzahl von Rücklaufsperren ohne Drehmomentbegrenzung ist davon auszugehen, dass nur ein geringer Lastausgleich stattfindet. Die Ursache hierfür sind das verzögerte Eingreifen der verschiedenen Rücklaufsperren (RS) infolge von Toleranzen in allen beteiligten Komponenten des Antriebsstranges, unterschiedliche Banddehnungen, unterschiedliche Reibungszustände (Wirkungsgrade) in den Bändern usw. Bild 01 verdeutlicht dieses Szenario. Es wird gezeigt, dass RS1 deutlich mehr Drehmoment übertragen muss als RS2 – im Extremfall sogar das gesamte Rückdrehmoment. In der Praxis ergeben sich hieraus Sicherheitsfaktoren von bis zum Dreifachen des Antriebsmoments. Ein Lastausgleich zwischen RS1 und RS2 findet in dieser Situation nicht statt. Der Sinn von RS2 kann dann nur eine Sicherheitsredundanz sein, was aber zugleich bedeutet, dass RS2 mit demselben Sicherheitsfaktor ausgelegt werden muss wie RS1. Unschwer ist zu erkennen, dass auf diese Weise beide RS überproportional groß ausfallen. Bild 02 zeigt die Messergebnisse für das Drehmoment an zwei Standardrücklaufsperren ohne Drehmomentbegrenzung, die auf einer Welle verbaut sind. Die Ergebnisse zeigen, dass an einer der 136 antriebstechnik 11/2018

SPECIAL I SPS IPC DRIVES 2018 beiden Rücklaufsperren ein um 20 % höheres Drehmoment anliegt – mit entsprechenden Konsequenzen für die Auslegung. Mithilfe von drehmomentbegrenzenden Rücklaufsperren lässt sich der Lastausgleich verbessern, sodass die Rücklaufsperren bei unverminderter Sicherheit kleiner ausgelegt werden können. Hierzu sind zwei Auslegungskonfigurationen an Realbeispielen für die langsam laufende Welle und die schnell laufende Welle nachfolgend aufgezeigt. Auslegung für die langsam laufende Welle Anwendung: Überlandbandanlage mit Rücklaufsperren ohne Drehmomentbegrenzung auf der langsam laufenden Welle n Antriebsleistung: 3 200 kW n Sicherheitsfaktor (Kundenvorgabe): 1,5 n Drehzahl Antriebsrolle Band: 55 min -1 n Rücklaufmoment des beladenen Bandes: 53 kNm Vorgabe des Kunden: Die Rücklaufsperre muss die Drehmomentbelastung nach einem abgebrochenen Start überstehen. Drehmomentkapazität der Rücklaufsperre 01 Drehmomentanstieg in einer Anlage mit Mehrfachantrieb Ganz anders sieht die Rechnung für Rücklaufsperren mit Drehmomentbegrenzung auf der langsam laufenden Welle aus. Hierbei wird die Rücklaufsperre so eingestellt, dass sie das Rücklaufmoment des beladenen Bandes sicher übertragen kann (Sicherheitsfaktor: 1,3). Rutschdrehmoment der Rücklaufsperre 02 Drehmoment an zwei Rücklaufsperren ohne Drehmomentbegrenzung Im Falle eines abgebrochenen Starts rutscht die Rücklaufsperre durch, bis das Nenndrehmoment erreicht und die Spannung im Band entsprechend abgebaut ist. Auslegung für die schnell laufende Welle Anwendung: Schrägförderer mit Rücklaufsperren ohne Drehmomentbegrenzung auf der schnell laufenden Welle n Antriebsleistung: 950 kW n Sicherheitsfaktor (Kundenvorgabe): 1,5 n Drehzahl der schnell laufenden Welle: 500 min -1 n Rücklaufmoment an der schnell laufenden Welle: 15 kNm Drehmomentkapazität der Rücklaufsperre Im vorliegenden Fall wurde vom Anwender eine Standardrücklaufsperre mit einer maximalen Drehmomentkapazität von 72 kNm ausgewählt, die während eines abgebrochenen Starts mit einem überladenen Band beschädigt wurde. Die Getriebeauslegung lies die Verwendung einer verstärkten Rücklaufsperre nicht zu. Zielführend ist hingegen eine drehmomentbegrenzende Rücklaufsperre mit entsprechend eingestelltem Rutschmoment und der Fähigkeit, nötigenfalls auch mehrere Umdrehungen unter Last schadlos zu rutschen. Rücklaufsperren mit Drehmomentbegrenzung auf der schnell laufenden Welle: Die Rücklaufsperre wird so eingestellt, dass sie das Rücklaufmoment des beladenen Bandes sicher übertragen kann (Sicherheitsfaktor: 1,3). Rutschmoment der Rücklaufsperre Im Falle eines abgebrochenen Starts rutscht die Rücklaufsperre durch, bis das Nenndrehmoment erreicht und die Spannung im Band entsprechend abgebaut ist. Wie den Auslegungsbeispielen zu entnehmen ist, können drehmomentbegrenzende RS, die das Rücklaufmoment sicher halten können (Sicherheitsfaktor 1,3), deutlich kleiner als herkömmliche RS spezifiziert werden, ohne im Falle eines abgebrochenen Starts beschädigt zu werden. Stieber empfiehlt einen Sicherheitsfaktor von mindestens 1,3 auf das Rücklaufmoment (vorbehaltlich lokaler gesetzlicher Vorgaben). Sichere Auslegung Die Auslegung hängt neben dem Rücklaufmoment maßgeblich vom Wirkungsgrad in der Bandanlage und dem eingestellten dynamischen Rutschmoment der Sperre ab. Beispiel 1: Ausgehend von der Annahme, dass n RS1 65 % des Volllastantriebsdrehmoments (VL) aufnimmt und RS2 35 % VL n das Losbrechmoment jeweils auf 60 % VL eingestellt ist n das dynamische Rutschmoment kleiner ist als das statische (µdyn = 0,8 µstat) ergibt sich die in Bild 03 beschriebene Situation: antriebstechnik 11/2018 137