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antriebstechnik 10/2016

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KOMPONENTEN UND SOFTWARE

KOMPONENTEN UND SOFTWARE Optimale Lösung bei der Auslegung einer Zahnrad-Mikrogeometrie 01 Vorschlag für eine optimale Flankenlinienkorrektur mit dem Ziel einer konstanten Last verteilung für eine Einstufenbeanspruchung Ulrich Kissling Die letzte Phase bei der Auslegung eines Zahnrads besteht in der Bestimmung der Flankenlinien- und Profilkorrekturen. Da die Berechnungsmethode zum Nachweis der durch Mikrogeometrie erzielten Wirkungen, die Kontaktanalyse unter Last aufwendig und die Interpretation der Resultate komplex ist, kann der Designingenieur leicht die Übersicht verlieren und damit die optimale Lösung verpassen. Dr.-Ing. Ulrich Kissling ist Geschäftsführer der KISSsoft AG in Bubikon/Schweiz B ei der Konstruktion einer Verzahnung benötigen wir heute deutlich mehr Zeit für die Optimierung der Mikrogeometrie als für die Makrogeometrie. Umso erstaunlicher ist, dass in der Fachliteratur das Thema Mikrogeometrie sehr knapp behandelt wird. Bei Niemann [1] wird z. B. die Thematik Profilverschiebung über fünf Seiten besprochen, während den Flankenlinien- und Profilkorrekturen gerade einmal drei Seiten gewidmet werden. Bei einer gezielten Auslegung der Mikrogeometrie muss schrittweise vorgegangen werden, zuerst sollte die Flankenlinien-, dann die Profilkorrektur spezifiziert werden. In dieser Arbeit wird beschrieben, wie eine Auslegung mit einem 3-Schritt-Verfahren zielgerichtet vorgenommen werden kann. Zur Bestimmung der optimalen Flankenlinienkorrektur gibt es generell nur ein Auslegungskriterium: das Erreichen einer möglichst konstanten Linienlast über der Zahnbreite und insbesondere das Vermeiden von Kantenträgern (höchste Last am Ende der Zahnbreite). Der Verlauf des Klaffens im Zahneingriff entsteht durch die elastische Verformung der Wellen, die durch die Betriebskräfte verursacht wird, sowie durch die Herstellabweichungen (Toleranzen). Die Auslegung der Flankenlinienkorrektur erfolgt bevorzugt in zwei Schritten. In Schritt 1 bestimmen wir die ideale Flankenlinien- 68 antriebstechnik 10/2016

KOMPONENTEN UND SOFTWARE 02 Lastverteilung mit verschiedenen Werten für die Fertigungsabweichung korrektur bei mittlerer Toleranzlage ohne Berücksichtigung von Herstellabweichungen (Toleranzen). Ziel ist das Erreichen einer konstanten Lastverteilung über der Zahnbreite. Damit wird die höchstmögliche Lebensdauer erreicht. Da die Verformung der Wellen von der Belastung abhängt, muss festgelegt werden, für welches Drehmoment die Korrektur ausgelegt werden soll. Bei komplexen Lastkollektiven ist dies keine einfache Sache. Deshalb wird hier eine spezielle Technik verwendet, um unter Einbezug des Lastkollektivs die maximale Lebensdauer zu erreichen. Die Verwendung der sogenannten eindimensionalen Kontaktanalyse [2] (nach ISO 6336-1, Anhang E [3]) ist hierzu optimal geeignet. Ist die Flankenlinienkorrektur für die mittlere Toleranzlage in Schritt 1 ermittelt, werden in Schritt 2 die Fertigungstoleranzen durch eine zusätzliche Korrektur ausgeglichen. Toleranzen (Herstellabweichungen) bewirken eine zufällige Vergrößerung/Verkleinerung des Klaffens über der Zahnbreite. Um Kantenträger in allen möglichen Kombinationen von Abweichungen zu vermeiden, ist in den meisten Fällen eine zusätzliche, symmetrische Korrektur (Flankenlinien-Breitenballigkeit oder -Endrücknahme) die einzig praktikable Lösung. Wie gross die Rücknahme (C b -Wert) einer solchen Korrektur gewählt wird, ist von statistischen Erwägungen und der Erfahrung abhängig. Wenn die Flankenlinienkorrektur definiert ist, folgt im dritten Schritt die Bestimmung der Profilkorrekturen. Nun ist das primär zu erreichende Ziel (Auslegungskriterium wie Geräuschemission, Lebensdauer etc.) sehr wichtig. Als Berechnungsmethode muss die Kontaktanalyse (LTCA) eingesetzt werden, was zeitaufwendig sein kann, wenn mehrere Varianten geprüft werden müssen. Speziell zu diesem Zweck wurde ein Programm-Modul entwickelt. Es erzeugt eine Liste von Varianten, rechnet alle durch und zeigt dann eine übersichtliche Darstellung der Resultate. Der Berechnungsablauf ist vollautomatisch, da es im Extremfall Stunden dauern kann, wenn hunderte Profilkorrektur-Kombinationen mit LTCA durchgerechnet werden. Eine typische Anwendung ist die Minimierung der Drehwegabweichung, indem Betrag und Länge der Kopfrücknahme von Ritzel und Rad unabhängig voneinander systematisch variiert werden. Da eine Profilkorrektur wiederum einen gewissen Einfluss auf die Breitenlastverteilung hat, kann nebst Profilkorrektur auch die zuvor bestimmte Flankenlinienkorrektur mitvariiert werden. Die Resultate werden sowohl graphisch als in konfigurierbarer tabellarischer Form dargestellt. Für interessante einzelne Varianten stehen in einem Protokoll auch sämtliche Detailresultate aus der LTCA zur Verfügung. Die beschriebene Mikrogeometrie-Optimierung kann für Stirnoder Kegelradpaare eingesetzt werden. Bei Bedarf kann sie auch in Kombination mit einer Analyse der Gehäuseverformung aus einer FEM-Berechnung angewendet werden. Bei Planetenstufen erfolgt die Optimierung für sämtliche Eingriffe im System inklusive der Verformungen des Planetenträgers aus einer integrierten FEM-Berechnung. Die Methodik hat sich seit ihrer Einführung vor zwei Jahren als sehr erfolgreich erwiesen, z. B. in der Windkraft oder bei Schiffsantrieben – Anwendungen, in denen das Definieren der Korrekturen wegen der extremen Lastkollektive sehr anspruchsvoll ist. Verwendung von Korrekturen In dieser Arbeit wird beschrieben, wie man mithilfe eines 3-Schritt- Verfahrens auf einfache Weise die optimalen Profil- und Flankenlinienkorrekturen für ein bestimmtes Zahnradpaar ermittelt. Die Auslegung der Korrekturen ist der letzte Schritt bei der Konstruktion eines Zahnrads. Es ist daher sehr wichtig, zu bedenken, dass sich eine schlechte Makrogeometrie (Modul, Schrägungswinkel, Profilverschiebung usw.) mit keiner noch so guten Mikrogeometrie ausgleichen lässt. Die Wahl der bestmöglichen Makrogeometrie [4] ist von entscheidender Bedeutung, bevor mit der eigentlichen Auslegung von Korrekturen begonnen wird. Flankenlinien- und Profilkorrekturen werden in der Industrie seit langem vorgenommen. Dennoch ist die Auslegung von Korrekturen nach wie vor keine leichte Aufgabe. In der Literatur finden sich erstaunlich wenige Informationen zu diesem Thema. Niemann [1] gibt nur wenige allgemeine Hinweise im Vergleich zur detaillierten Besprechung wesentlich weniger komplexer Problemstellungen wie beispielsweise der Auslegung der Profilverschiebung. Ein Problem ist, dass sich die Auswirkungen von Korrekturen nur mithilfe einer LTCA [5] überprüfen lassen. Die LTCA ist ein komplexes, FEM-ähnliches Berechnungsverfahren, das viel Rechenzeit erfordert. Hinzu kommt, dass diese Art Software den meisten Getriebekonstrukteuren nicht zur Verfügung stand oder dass ihnen die Nutzung für ihre Zwecke zu kompliziert war. Aus diesem Grund wurden Korrekturen meist mit Hilfe von einfachen Regeln gemacht, ohne zu prüfen, ob die angewendete Regel für einen spezifischen Fall geeignet war. In den vergangenen Jahren ist die Nutzung von LTCA-Software einfacher geworden. Für eine Berechnung werden alle Raddaten inklusive der Geometrie- und Lastvorgaben der Wellen benötigt. Die Eingabe der erforderlichen Daten für ein eigenständiges Programm ist daher kompliziert und zeitaufwändig. In einer Systemsoftware wie Kisssys [6], in der die gesamte Antriebskette mit Zahnrädern, Wellen und Lagern modelliert wird, stehen sämtliche Daten für eine LTCA zur Verfügung und die Berechnung wird ohne weitere Eingaben durchgeführt. Die heutige Nachfrage am Markt nach leichteren, kostengünstigeren und stärkeren Getrieben sowie die Verfügbarkeit einfach zu nutzender LTCA-Software haben beträchtliche Änderungen in vielen Konstruktionsbüros mit sich gebracht. LTCA als Werkzeug für die Überprüfung und Verbesserung der Effizienz von Korrekturen findet immer größere Verbreitung. antriebstechnik 10/2016 69