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antriebstechnik 1-2/2021

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antriebstechnik 1-2/2021

FORSCHUNG UND

FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG SYSTEMVERHALTEN VON MASCHINEN AUF DEM WEG ZUR AUTONOMEN WERKZEUGMASCHINE – MECHATRONISCHE DÄMPFUNGSSYSTEME ALS BEFÄHIGER Eine Werkzeugmaschine zur Autonomie zu befähigen ist ein großes Ziel der aktuellen Ingenieurswissenschaft. Wichtig ist dabei die Kontrolle und ggf. die Kompensation von Umgebungseinflüssen. Das Institut für Werkzeugmaschinen der Universität Hannover forscht in dieser Hinsicht an mechatronischen Schwingungsdämpfern. EINLEITUNG Autonom von der Bauteilzeichnung zum perfekten Bauteil – In der Vision der autonomen Werkzeugmaschine konfiguriert sich die Maschine selbst und führt den Produktionsprozess selbstständig aus. Hierbei wählt die Maschine eigenständig ihre Prozessparameter und passt diese bei schwankenden Produktionsbedingungen an. Die Autonome Werkzeugmaschine reagiert dabei selbstständig auf äußere Störeinflüsse. Äußere Störeinflüsse können z. B. durch schwankende Umgebungseinflüsse sowie Maschinenschwingungen entstehen und destabilisieren den Bearbeitungsprozess. Um instabile Prozesse reaktionsschnell zu kompensieren und gleichzeitig maximale Prozessparameter realisieren zu können, sind Maschinenkomponenten und Zusatzsysteme erforderlich, die eigenständig auf entsprechende Störungen reagieren. In Bild 01 sind die Stufen der Automatisierung von Maschinenkomponenten dargestellt. Der Übergang vom menschlichem Eingriff zur Modifizierung der Maschinenstruktur hin zum autonomen maschinellen Eingriff in die Maschinenstruktur ist in fünf Stufen gegliedert. Hierbei werden ähnlich zu dem Standpunktpapier „Industriearbeitsplatz 2025“ [BEH18] der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik (WGP) Analogien zur Vision des autonomen Fahrens aufgegriffen. Die unterste Stufe (Stufe 0) beinhaltet rein passive Zusatzsysteme. Die selbstlernende Adaptronik stellt die oberste Stufe (Stufe 4) der Automatisierung von Maschinenkomponenten dar. Es handelt sich hier um autonome Struktursysteme. Durch lernende adaptive Regelungssysteme werden die Systemgrenzen eigenständig erkannt und erweitert. Die Regelungssysteme sind hierbei autarke Einheiten innerhalb der Maschinenstruktur. Selbstlernende adaptronische Systeme können in die Maschinenstruktur integriert werden und modifizieren eigenständig das Systemverhalten der Maschine. Durch die Verbindung mit einer selbstlernenden Maschinen- und Prozessregelung, die höchste Stufe der Automatisierung von Produktionsprozessen nach [BEH18], lassen sich in Zukunft autonome Werkzeugmaschinen realisieren. Ziel aktueller Forschung ist es, Methoden und Anwendungen als Befähiger zur selbstlernenden Adaptronik und somit zur autonomen Werkezugmaschine zu erforschen. Das Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz Universität Hannover forscht deswegen an integrierten, mechatronischen Dämpfungssystemen zur aktiven Schwingungskompensation. Diese bilden die Schwelle von mechatronischen Zusatzsystemen (Stufe 2) hin zur Adaptronik (Stufe 3) und stellen somit eine Schlüsseltechnologie auf dem Weg zur autonomen Werkzeug maschine dar. Im folgenden Beitrag wird anhand zweier Beispiele mechatronischer Dämpfungssysteme der Übergang zwischen den zwei Stufen vorgestellt. AKTIVE RUCKENTKOPPLUNG Für Bearbeitungsprozesse mit vielen Richtungswechseln ist ein schnelles Erreichen der eingestellten maximalen Achsbeschleunigung für die Erreichung minimaler Bearbeitungszeiten ausschlaggebend. Hierdurch können die maximalen Geschwindigkeiten für den Bearbeitungsprozess auch bei kurzen Verfahrwegen erreicht werden. Durch den Einsatz von Lineardirektantrieben mit hohen Kraftanstiegsgeschwindigkeiten lassen sich solch hohe Beschleunigungsänderungen prinzipiell realisieren. Die Einleitung der Reaktionskraft in die Maschinenstruktur führt jedoch zu ungewollten Strukturschwingungen. Insbesondere die impulsartigen Beschleunigungsänderungen führen dazu, dass die kritischen Eigenformen der Maschinenstruktur durch ein breitbandiges Kraftspektrum angeregt werden. Als Folge kommt es zu dynamischen Auslenkungen der Struktur und somit zu einer Relativbewegung zwischen Werkzeug und Werkstück [ALT11]. Die Konsequenz dieser Relativbewegung ist eine Reduzierung der Werkstückqualität. Um die Strukturschwingungen zu vermeiden bzw. zu reduzieren, erfolgt i. d. R. eine softwareseitige Begrenzung des Rucks. Hierfür wird in der Bahnplanung der Ruck auf einen Maximalwert begrenzt. Dies resultiert jedoch in einer Verringerung der Achsdynamik und führt somit zu längeren Bearbeitungszeiten als theoretisch mit höherem Ruck realisierbar. Die am Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) entwickelte Methode der aktiven Ruckentkopplung ermöglicht eine Erhöhung der Ruckwerte bei gleichzeitiger Verringerung der Strukturschwingungen. Die Methode der aktiven Ruckentkopplung basiert auf der Integration eines zusätzlichen Aktorelements in den Kraftfluss zwischen 38 antriebstechnik 2021/01-02 www.antriebstechnik.de

FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG 01 Stufen der Automatisierung von Maschinenkomponenten in Anlehnung an [BEH18] Stufe 0 Passiv Stufe 1 Assistiert Stufe 2 Automatisiert Stufe 3 Teil-Autonom Stufe 4 Autonom Menschlicher Eingriff Passive Zusatzsysteme Exakte Abstimmung des Systems auf zuvor bekannte Störungen Adaptierbare passive Zusatzsysteme Manuelle Adaption des Systems auf identifizierte Störungen und Systemänderungen Mechatronische Zusatzsysteme Aktorik + Sensorik + Regler nicht strukturintegriert Aktive Kompensation von unerwarteten aber bekannten Störungen + Erkennen der Systemgrenzen Adaptronik Aktorik + Sensorik strukturintegriert Aktive Kompensation von unerwarteten aber bekannten Störungen + Erkennen der Systemgrenzen undAdaption an geänderte Bedingungen innerhalb der Systemgrenzen Selbstlernende Adaptronik Autonom Aktorik + Sensorik + Regler strukturintegriert Aktive Kompensation von unerwarteten und unbekannten Störungen + Erweitern der Systemgrenzen undAdaption an geänderte Bedingungen Autonome Maschinenkomponenten Bh/89236 © IFW Antrieb und Maschinenstruktur. In Bild 02 ist das Prinzip der aktiven Ruckentkopplung als Mehrkörper-Ersatzmodell dargestellt. Das Ersatzmodell bildet die vereinfachte Maschinenstruktur der X- Achse mit integriertem Entkopplungsaktor ab. Das dynamische Verhalten der vereinfachten Maschinenstruktur entspricht hierbei den dominanten Starrkörperschwingungen der Vorschubachse. Die Starrkörperschwingungen setzen sich aus den Schwingungen der Massen von Maschinenbett und Ruckentkopplungsschlitten (REK-Schlitten) in X-Richtung zusammen. Hierbei resultiert die Starrkörperschwingung des Maschinenbetts aus elastischen Verformungen der Aufstellelemente (hier als Feder-Dämpfer-Elemente (FDE) dargestellt). Der REK-Schlitten ist zwischen Achsantrieb und Maschinenbett platziert. Die Anbindung des REK-Schlittens an das Maschinenbett erfolgt über Feder-Dämpfer-Elemente. Die Strukturschwingung des REK-Schlittens wird aus der Anbindung über die Feder-Dämpfer-Elemente an das Maschinenbett hervorgerufen. Der REK-Schlitten führt so eine Schwingung relativ zum Maschinenbett aus. Eine Kopplung des REK-Schlittens an das Maschinenbett über Feder-Dämpfer-Elemente wird als „passive Ruckentkopplung“ bezeichnet. Ziel der passiven Ruckentkopplung ist die Entkopplung von Spektralanteilen der Antriebskräfte, die zu einer Resonanzüberhöhung der Schwingung des Maschinenbetts führen. Das Konzept der passiven Ruckentkopplung wurde bereits in [HES08] und [GÜM14] erforscht. Bei Verfahren der Achse wirkt die Reaktionskraft -F M des Motors auf den REK-Schlitten. Durch die Platzierung des REK-Schlittens in den Kraftfluss zwischen Antrieb und Maschinenbett, wirkt die passive Ruckentkopplung als mechanischer Tiefpass zweiter Ordnung (PT2-Glied). Als Folge wird das Frequenzspektrum der Motorkraft gefiltert in das Maschinenbett 02 Mehrkörper-Ersatzmodell einer Vorschubachse mit integriertem Entkopplungsaktor Achsantrieb F M F M Entkopplungsaktor -F A F A S N REK-Schlitten x REK Maschinenbett Feder-Dämpfer Austellelemente X Z Elemente PREK Fundament Bh/xxxxx Bh/89231 ©IFW gekoppelt. Aufgrund des PT2-Verhaltens kommt es jedoch zu einer Resonanzüberhöhung bei der Eigenfrequenz der passiven Ruckentkopplung. Um diese zusätzliche Resonanzüberhöhung der passiven Ruckentkopplung zu dämpfen, wird eine aktive Komponente (Entkopplungsaktor) in die Struktur integriert. Resultierende Starrkörperschwingungen von REK-Schlitten und Maschinenbett werden mit Hilfe von Beschleunigungssensoren auf REK-Schlitten und Maschinenbett detektiert. Anhand des Systemmodells werden anschließend im Regelungssystem die Aktorkraft F A und die Aktordynamik des Entkopplungsaktors berechnet. Die durch den Entkopplungsaktor eingebrachte Aktorkraft F A wirkt den Strukturschwingungen entgegen. Durch die Schwingungskompensation x G www.antriebstechnik.de antriebstechnik 2021/01-02 39