LINEARTECHNIK TITEL Bad Sobernheim liegt im Landkreis Bad Kreuznach in Rheinland-Pfalz. Die Stadt mit 7 000 Einwohnern ist Verwaltungssitz, staatlich anerkanntes Heilbad und gehört zum Weinbaugebiet Nahe. In dieser Region spielt traditionell die Landwirtschaft eine wichtige Rolle. Doch längst haben auch neue Ideen und Zukunftsvisionen in Bad Sobernheim Platz gefunden, z. B. bei der Roland Ruegenberg GmbH, einem Unternehmen mit Kernkompetenz in Bördel- und Falztechnologien. Durch die Entwicklung und den Bau zahlreicher Falzanlagen sammelte Ruegenberg viel Know-how auf diesem Gebiet. Ihre Anlagen verbinden zwei Blechelemente ohne zu schweißen schnell und zuverlässig. Dadurch kann der Anwender Zeit und Geld sparen. Neben dem Verarbeiten von Metallen bietet das Unternehmen auch Lösungen für einen ebenen Bord sowie für einen besonders kleinen und enganliegenden Falz. Die Bearbeitungszeiten liegen unter 30 s pro Teil in vollautomatisierten Anlagen, die den Bearbeitungsprozess ausführen. SYNCHRONLAUF UND HOHE VERFAHR GESCHWINDIGKEITEN GEFORDERT Ende 2018 erhielt Ruegenberg den Auftrag eines Automobilzulieferers für mehrere automatische Falzanlagen. Besondere Herausforderungen hierbei waren die Produktvielfalt, die Rüstzeit, enge Platzvorgaben und ein anspruchsvoller Terminplan. Anstelle von Hydraulik kam innovative Servoantriebs- und Steuerungstechnik zur Anwendung. Hohe Verfahrgeschwindigkeiten und Dynamik sowie hohe Anforderungen an Kraft, Performance und synchron im Verbund fahrend – bei unterschiedlichen Kräften – waren einige der Herausforderungen. Darüber hinaus sollten die einzelnen Motoren leicht und individuell konfigurierbar sein. Aufgrund der Zusammenarbeit bei vorangegangenen Aufträgen entschied sich Ruegenberg bei der Antriebstechnik für SEW-Eurodrive. ELEKTROZYLINDER STATT HYDRAULIKZYLINDER Zunächst mussten verschiedene Tests durchgeführt werden. „Dazu verwendeten wir ein hydraulisch angetriebenes Probewerkzeug“, erläutert Matthias Scheffler, CAD-Konstrukteur bei Ruegenberg. „Allerdings ist ein Hydraulikzylinder langsam und nicht punktgenau zu steuern.“ Matthias Kürzer, Ruegenbergs Abteilungsleiter Elektrik, führt aus: „Bei der Vorserie hatten wir bereits einen Vierer- Achsverbund mit Elektrozylindern für die Arbeitshübe und Zwischenpositionen eingesetzt. Der Zweier-Achsverbund für die Schließbewegung wurde aber zunächst mit Hydraulikzylindern realisiert.“ Nach den Tests entschloss sich das Entwicklungsteam um die beiden Fachleute den Hydraulikhub ebenfalls mit Elektrozylindern auszuführen. An der Beladestation werden durch einen Werker Hitzeschilde und Bauteil zusammengesetzt. Dieser Prozess wird von einer Kamera überwacht. Die Bauteile wiegen bis zu 20 kg. Mittels eines Drehtellers wird das Bauteil in die Maschine geschwenkt. Ein Roboter übernimmt das weitere Bauteilhandling. Über die Codierung der Werkzeuge ist sichergestellt, dass er stets das richtige Werkzeug bedient. Nach dem Bördel- bzw. Crimpvorgang bringt der Roboter das Bauteil zur Laserstation. In diesem Prozessschritt werden ein DataMatrix-Code (DMC) sowie Klarschrift aufgelasert. Im Anschluss an die Lasermarkierung wird ein Etikett gedruckt und automatisch aufgeklebt. NEUES VERFAHREN SCHLIESST FALZKANTEN AUCH IN RADIEN UND KURVEN Die bisherige Falztechnologie basierte auf einem einfachen Falz im Verbund mit einer Punktschweißung. Die Festigkeit dieser Verbindung liegt allerdings unter der des neuentwickelten Crimpverfahrens. Scheffler erläutert: „Die größten Herausforderungen beim Doppelfalzen sind Faltenlagen in den Hitzeschild-Blechen. Dazu kommt die Unsicherheit bei den dabei zu erwartenden Prozesskräften. Die genaue Dosierbarkeit der Einzelkräfte ist daher äußerst wichtig, damit zum einen jeder Einzelvorgang gesamtumfänglich korrekt ausgeführt wird und zum anderen die schmalen Stempel und Matrizen des Werkzeugs nicht beschädigt werden. Daher haben wir den Crimp zunächst mit einer Handvorrichtung erzeugt und dabei den erforderlichen Kraftaufwand gemessen.“ Die Besonderheit dieses Verfahrens zeigt sich darin, dass auch in Radien und Kurven die Falzkante geschlossen ist. Dies ermöglicht, das Bauteil mit einem rundum geschlossenen Falz ohne Unterbrechung zu versehen. Durch das zweifache Falzen und anschließendes Aufstellen der Falzkante wird eine höhere Festigkeit erzielt. Die innenliegende Isolierung ist vor eindringenden Flüssigkeiten wie Wasser oder Öl geschützt. Auch die thermischen Eigenschaften werden verbessert. Der Doppelfalz ist weniger anfällig gegenüber Vibrationen als eine punktgeschweißte Verbindung und weist somit eine längere Lebensdauer auf. Durch den Crimpprozess entstehen keine offenen oder scharfen Kanten. Daher stellt dieser Falz kein Sicherheitsrisiko für die Werker in der Endmontage dar. Denn scharfkantige Blechverbördelungen können sogar Schutzhandschuhe durchschneiden. ELEKTROZYLINDER FÜHREN POSITIONIER- UND SCHLIESSBEWEGUNGEN AUS Jede Bördelmaschine ist mit sechs Elektrozylindern von SEW- Eurodrive ausgestattet. Vier Zylinder der Baureihe CMSB71 im achs- 01
TITEL LINEARTECHNIK seriellen Aufbau bilden eine Gruppe und realisieren Arbeitsbewegungen und Zwischenpositionen der Werkzeugplatten. Die zweite Gruppe, ebenfalls achsseriell aufgebaut, besteht aus zwei Elektrozylindern vom Typ CMSMB71. Diese beiden Zylinder, ebenfalls durch Servomotoren angetrieben, sind für die Schließbewegung des Werkzeugs verantwortlich und erzeugen die Vorspannung. Jeder der Antriebe kann Druckkräfte bis 24 kN aufbauen. Eine Verriegelung der Werkzeughälften verhindert, dass die Zylindergruppen gegeneinander arbeiten. „Wir lösen alles mit vertikalen Arbeitsbewegungen, auf engstem Raum. Die schlanke Bauweise der Servoachsen von SEW-Eurodrive half uns dabei, die strengen Platzvorgaben des Kunden zu erfüllen“, erläutert Scheffler. Abteilungsleiter Kürzer ergänzt: „Eine Anforderung an die Anlage war, dass auf ihr unterschiedliche Bauteile gefertigt werden, die drei verschiedene Werkzeuge erfordern.“ Wenn in Zukunft neue Bauteile hinzukommen, heißt das: Man designt ein neues Werkzeug, ohne die modular aufgebaute Anlage verändern zu müssen. „Wir spielen dann lediglich ein neues Rezept mit den Verfahrwegen und Kraftgrenzen der Motoren auf“, so Kürzer. POSITIONS- UND DREHMOMENTREGELUNG Die Bewegungssteuerung der Falzanlage erfolgt durch einen Movi-C Controller power von SEW-Eurodrive. Auf diesem Controller läuft das Softwaremodul Movikit MultiAxisController, um die beiden Zylindergruppen anzusteuern. Jan Messerschmitt, Applikationsingenieur bei SEW-Eurodrive, war an der technischen Lösung beteiligt. Er erläutert: „Der MultiAxisController ermöglicht, sowohl die Position in der Vierergruppe exakt zu halten als auch das Drehmoment zu regeln, wie es für den Prozess erforderlich ist – ohne dass die Position verletzt wird. Das Wichtigste ist, dass die Platten nicht verkanten und Funktionssteine nicht kollidieren. Immerhin liegt die Toleranz bei Bruchteilen von einem Millimeter.“ Für den Nutzer ergibt sich durch den MultiAxis-Controller ein hoher Bedienkomfort. Der Anwender hat eine einzige Schnittstelle und das Movikit übernimmt die Regelung/Ausgleichfunktionen für die gesamte Gruppe. Die übergeordnete Steuerung der gesamten Anlage wird über Ethernet/IP angebunden. Sie wurde nach einer Vorgabe des Endkunden bereitgestellt. PROJEKT ERFORDERTE ENGE ZUSAMMENARBEIT Den Auftrag zum Bau der Falzanlage erhielt Ruegenberg im Herbst 2018. Kurz darauf erfolgte der Projektstart mit der Planung und Konstruktion. Ab Mai 2019 fand die Bau- und Erprobungsphase statt. Der Laser wurde in Betrieb genommen und erste Versuche mit den Testwerkzeugen durchgeführt. Schließlich konnte im Frühsommer 2019 der erste Prototyp fertiggestellt werden. Konstrukteur Scheffler: „Es gelang uns gemeinsam eine Technologie zu entwickeln, die es vorher noch nicht gab. Bei so einem heißen Projekt muss die Zusammenarbeit klappen! Es begann alles mit einer Idee und einem handtellergroßen, aus mehreren Teilen bestehenden ‚Würfel‘ .“ SEW-Kundenbetreuer Frank Schnell resümiert: „Dieses Projekt war eine Herausforderung.“ Als großer Vorteil für die Firma Ruegenberg erwies sich, dass man mit den Ansprechpartnern bei SEW- Eurodrive fortlaufend in Kontakt stand. Auf diese Weise vereinfachte sich die Projektkoordination spürbar. „Die Kommunikation muss funktionieren“, betont Scheffler. „Reaktionen und Rückrufe erfolgten stets zeitnah; das ist nicht überall so. Es erleichtert die Zusammenarbeit ungemein. Auch der Support vor Ort war lückenlos und zielführend“, stellt er fest. Mittlerweile trat die Falzanlage ihren Weg zum Kunden in Asien an, weitere sind gegenwärtig in Planung bzw. im Bau. Fotos: Aufmacher, 02: SEW Eurodrive GmbH & Co KG; 01: Roland Ruegenberg GmbH www.sew-eurodrive.de www.r-find-r.de DIE IDEE „Das Falzen stellt eine große technische Herausforderung dar. Zum einen herrscht oft Ungewissheit über die wirkenden Falzkräfte. Andererseits stand die Forderung des Kunden nach kompakten Baumaßen der gesamten Anlage im Fokus. In umfangreichen Vorversuchen stellten wir fest, dass sich ein Bördelprozess am besten eignet: Durch mehrmaliges Einfalten und eine spezifische Form weist der Falz eine überragende Stabilität auf. Es gelang uns gemeinsam mit viel Engagement, eine Technologie zu entwickeln, die es vorher noch nicht gab. Das ist Hightech!“ 02 01 Die Bewegungssteuerung der Falzanlage ermöglicht sowohl die Position in der Vierergruppe exakt zu halten als auch das Drehmoment zu regeln, wie es für den Prozess erforderlich ist 02 Durch das zweifache Falzen und anschließendes Aufstellen der Falzkante wird eine höhere Festigkeit erzielt. Zudem ist die Blechverbördelung weniger anfällig für Vibration und weist keine scharfen Kanten auf Matthias Scheffler, CAD-Konstrukteur, Roland Ruegenberg GmbH, Bad Sobernheim www.antriebstechnik.de antriebstechnik 2021/01-02 13
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