DRIVES GOING GLOBAL I SPECIAL Der Schwebe-Effekt 32 Kunststoff-Gleitlager helfen, die Ermüdung bei langer Arbeit zu verringern Ständig sich wiederholende Montageabläufe, Arbeiten über Kopf durchführen, schwere Autoteile heben – dies ist der Alltag vieler Monteure in der Automobilproduktion. Früher oder später führen diese Tätigkeiten oft zu Beschwerden oder Störungen des Bewegungsapparates. Um dem entgegenzuwirken, hat das amerikanische Unternehmen Pathway in Zusammenarbeit mit Levitate Technologies ein leichtes Exoskelett entwickelt. Kunststoffgleitlager von Igus sind mit dabei. Alles begann für Marc Doyle mit dem Vorhaben die Arm- und Schulterbelastungen von Chirurgen während ihrer medizinischen Tätigkeit zu entlasten. Daraufhin entwickelte er den Airframe und gründete rund um das neue Assistenzsystem im Jahr 2013 die Firma Levitate im kalifornischen San Diego mit. Levitate heißt übersetzt übrigens „Schweben“. Doyle hat das Robotergestell in einer Garage entwickelt, dann zur Optimierung an das Designbüro Pathway gegeben und bei der Firma D&K wird das Exoskelett produziert. Die Prinzipien des Airframes kennen wir aus der Natur – es handelt sich um eine Stützstruktur, die einem innen liegenden Körper Stabilität und Kraft vermittelt. Das Exoskelett verteilt das Eigengewicht von Armen, Schultergürtel und Nacken auf die Körpermitte. „Der Airframe entlastet die Muskeln und unterstützt die Bewegungssequenzen. Dadurch verhindert er Verspannungen im Hals, im Schultergürtel und im oberen Rücken“, erklärt Doyle. Der Airframe ist wie ein Rucksack aufgebaut und lässt sich mit seinen verstellbaren Trägern flexibel an nahezu jede Körpergröße anpassen. Die Träger sind verbunden mit dem künstlichen Exoskelett, also dem mechanischen Gerüst aus Metallstreben, die die Gelenke und Achsen des Körpers nachbilden. Für das Einlegen der Arme gibt es knapp über dem Ellenbogen eine Schale und parallel zum Oberarm ist am Gestell eine Kassette befestigt. Diese birgt das große Geheimnis des Airframes: Es liegt in der präzisen Kraftsteuerung und in der Konfiguration ihres Mechanismus. Der Airframe kann in kurzer Zeit an- und abgelegt werden. Er passt sich mühelos den Bewegungen des Trägers an. Das Exoskelett wird schrittweise aktiv durch das Anheben der Arme und drosselt seine Kraft entsprechend, wenn die Arme gesenkt werden. So liefert er eine immer passende Unterstützung zur passenden Zeit. „Man kann es richtig genießen, länger zu arbeiten und gar nicht müde zu werden. Dass ich so lange durchhalte, hätte ich nicht für möglich gehalten“, freut sich Dirk P., Monteur bei BMW in Spartanburg im amerikanischen Bundesstaat South Carolina. Gleitlager erfüllen hohe Anforderungen Die Automobilindustrie hat ihren Bedarf an Exoskeletten bereits angemeldet – mit klaren 42 antriebstechnik 1-2/2018
SPECIAL I DRIVES GOING GLOBAL Vorstellungen und Anforderungen. Damit reagieren sie auch auf die zunehmende Zahl von Muskel- und Skeletterkrankungen. Die Assistenzsysteme dürfen den Arbeitsfluss in der Produktion nicht behindern. Darum müssen die tragbaren Gestelle leicht, komfortabel und funktional sein. Mark Doyle arbeitet schon seit langem mit Igus-Produkten, und sie passen für ihn zum Airframe: „Die Igus-Produkte sind praktikabel, robust, sie sind konfigurierbar und das Material passt. Mit Igus als Unternehmen kann man sehr gut zusammenarbeiten, die Unterstützung ist prima. Die Lager haben eine hervorragende Qualität, sind laufruhig und haben eine hohe Lebensdauer.“ Rund eine Million Bewegungszyklen soll der Airframe im Arbeitsmodus garantieren. Da müssen die 32 im Airframe verbauten Gleitlager schon einiges aushalten. Schon bei der ersten Entwicklung von Prototypen des Gestells hat der Erfinder Mark Doyle Igus-Lager eingesetzt. Seit Oktober 2015 ist das Designunternehmen Pathway mit an Bord. Sie haben die Aufgabe übernommen, aus dem Prototypen ein marktfähiges System zu machen. Konstrukteure wie Arthur Deptala von Pathway aus dem kalifornischen San Diego haben den Airframe für die großen Herausforderungen in Sachen Kraftregelung und Anpassungsfähigkeit optimiert. In dem mechanischen Stützsystem sind verschiedene schmierfreie Iglidur-Lager aus dem Igus-Sortiment verbaut, darunter zylindrische Gleitlager mit und ohne Bund sowie Anlaufscheiben. Auch in der Kassette, die das Geheimnis der Kraftregelung birgt, helfen verschiedene Lager bei der schrittweisen Aktivierung des Assistenten bei jeder Armbewegung. Mit Igus-Produkten war ein kompaktes, leichtes Design möglich. Darüber hinaus erfüllen die Kunststofflager die Konstruktionsanforderung für nicht korrosive Werkstoffe – somit kann das Exoskelett auch bei schwierigen Umgebungsbedingungen eingesetzt werden. Damit sich das Exoskelett mühelos den Bewegungen des Trägers anpassen kann und nicht in seinen Arbeitsbereich eingreift, muss es leicht und kompakt sein und auch bei hohen axialen Lasten bis 100 kg reibungslos funktionieren. Diese hohen Ansprüche sind laut Levitate mit den Gleitlagern aus Hochleistungskunststoffen gut zu erfüllen. Darüber hinaus müssen die Lager eine hohe Lebensdauer garantieren und möglichst kostengünstig sein. Iglidur G kommt als Werkstoff an den Stellen zum Einsatz, an denen die Lager besonders hohe Lasten aufnehmen müssen. Das deutlich kostengünstigere Iglidur-M250-Lager erfüllt die notwendigen Ansprüche bei niedriger Belastung. Igus Online-Konfigurator und -Lebensdauerrechner haben laut Doyle dabei geholfen, das optimale Lager für den Airframe zu finden. Airframe sorgt heute bei BMW für Furore Nicht nur in der Medizintechnik für entlastende Tätigkeiten des Operateurs, sondern auch in der Automobilindustrie steigt seit der Entwicklung die Nachfrage nach dem Robotergestell rapide. BMW hat bekannt gegeben, dass sich der Airframe gegenüber anderen Systemen bewährt hat und als „product of choice“ heute schon die Arbeiter in ihren Werken in den USA deutlich entlastet. Die Bayern setzen in ihrem Werk in Spartanburg, wo fast ausschließlich SUV-Fahrzeuge der X-Serie produziert werden, bereits rund 68 Airframes ein. Dort sind sich die Produktionsleiter sicher, dass diese neue Arbeitsweise international Schule macht. „Wir sind die erste Fabrik und der erste Automobilhersteller, der sie benutzt, und ich würde sie gerne jedem Arbeiter zur Verfügung stellen“ meint Frank Pachiro, Montageplaner bei BMW in Spartanburg. „Auch andere BMW-Werke beispielsweise in München werden jetzt Exoskelette testen.“ Auch Wettbewerber wie Honda, Toyota oder Nissan sind bereits aufmerksam geworden. 01 Bei BMW in Spartanburg sind bereits 70 Airframes im Einsatz – u. a. für die Unterstützung bei Über-Kopf-Arbeiten genutzt 02 Die Produktion bei D&K: Gleitlager werden in die Gelenke des Exoskeletts einfach eingepresst Fast ausschließlich positive Reaktionen bekommt Levitate von der Industrie zurück. „Die Arbeiter machen wir mit dem tragbaren Roboter glücklich, sie ziehen ihn nie freiwillig aus, sondern erst, wenn wir sie dazu auffordern“, strahlt Doyle. Als Nutzer im Blick hat man vor allem die wertvollen Facharbeiter, deren Leistungsfähigkeit im Alter abnimmt und die anfälliger werden für Müdigkeit und Schmerzen. Sie können durch das Assistenzsystem länger und produktiver arbeiten. Dadurch steigt die Berufszufriedenheit deutlich. Der Game Changer Das große Interesse und die positiven Erfahrungen lassen Levitate darauf hoffen, dass die Auftragszahlen für den Aiframe schon bald in die Höhe schießen. Dass der Markt für leistungsfördernde und gesundheitsschonende Robotergestelle in Zukunft deutlich steigen wird – darüber sind sich die Experten einig. Die International Federation of Robotics schätzt, dass im Jahr 2015 rund 370 Exoskelette verkauft wurden, im Jahr 2019 sollen es schon 6 500 sein. So wird sich die Arbeit in den Fabriken nicht nur durch die Automatisierung und die Robotertechnik verändern – auch das Exoskelett wird ein „Game Change“ sein. Aktuell scheint der Airframe von Levitate mit den 32 Gleitlagern von Igus an Bord die Standards zu setzen. Fotos: Aufmacher + 02: Igus; 01: BMW USA www.igus.de antriebstechnik 1-2/2018 43
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