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antriebstechnik 1-2/2018

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Völlig schwerelos

Völlig schwerelos Schrittmotoren sorgen für gestochen scharfe 3-D-Bilder vom Mars Der Start der nächsten Rover-Expedition auf dem Mars ist für 2020 geplant. Dazu wird die Hauptnutzlast der russischen Proton-Rakete aus dem von den europäischen und russischen Weltraumorganisationen (ESA & Roskosmos) entwickelten Exo Mars Rover bestehen. Schrittmotoren, die an die harten Anforderungen auf dem Mars angepasst wurden, treiben die Rotationsachsen der Filterräder und das Fokussiersystem der hochauflösenden Kamera an. D ie Ansprüche an Technik, die im Weltraum eingesetzt wird, sind hoch und die Umgebungsbedingungen auf dem Mars fordern den am Exo Mars Rover eingesetzten Komponenten Höchstleistung ab. Zum einen arbeitet der Rover nach der Landung bei einem Luftdruck von nur 0,00636 bar, was auf der Erde dem atmosphärischen Druck in 35 km Höhe entspricht. Gleichzeitig schwanken die Temperaturen zwischen etwa + 20 und – 120 °C. Hinzu kommen Beeinträchtigungen durch den Staub, den der Rover beim Fahren und bei geologischen Bohrungen aufwirbelt. Die Panoramakamera, die vom Mullard Space Science Laboratory (MSSL-UCL, südlich von London) in Zusammenarbeit mit der OHB System AG (München), dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR, Berlin) und Thales Alenia Space (TAS-CH, Zürich) Dipl.-Ing. (BA) Andreas Seegen ist Marketingleiter bei der Dr. Fritz Faulhaber GmbH & Co. KG in Schönaich entwickelt wurde, ist deshalb an einem 2 m hohen Mast und damit deutlich über dem Boden montiert. „Wir schützen so die Optik vor Staub und können von der erhöhten Position zudem wesentlich bessere Panoramabilder aufnehmen“, erklärt Jonathan Jones, Ingenieur für Mechanik und Thermodynamik bei MSSL. Schrittmotoren für Objektivfilter Mit den vor den Weitwinkelkameras liegenden Objektivfiltern hat MSSL ein System geschaffen, das während der für 2020 geplanten Mission Aufnahmen mit unterschiedlicher Polarisation und damit Bilder mit variierenden Inhalten erzeugt. „Geplant ist, täglich zehn Bilder zur Erde zu schicken“, fährt Jones fort. Was auf den ersten Blick recht wenig klingt, entpuppt sich in der Praxis durchaus als anspruchsvoll: Zunächst erstellt die Kamera für jedes Bild drei Aufnahmen. Diese werden dann jeweils zur Erde geschickt und dort für das endgültige Bild übereinandergelegt. Mehr als zehn Bilder pro Tag sind aufgrund der geringen Datenbandbreite der Funkkommunikation zwischen Mars und Erde nicht möglich. Jedes Funksignal zwischen den benach barten Planeten ist zudem ungefähr 20 min unterwegs. Elf Objektivfilter pro Rad ermöglichen es den Pan Cam-Weitwinkelkameras unterschiedliche Aufnahmen mit veränderten Polarisationen zu machen. Die Filterräder rotieren und müssen für scharfe Bilder exakt in Position gebracht werden. Als Antrieb setzt MSSL an jeder Achse einen Schrittmotor aus dem Precistep Schrittmotor-Portfolio von Faulhaber ein. Für diese Wahl sprachen gleich mehrere Gründe: Die MSSL-Ingenieure waren bei der Entwicklung der Panoramakamera auf der Suche nach Motoren, die unter Mars- Bedingungen verlässlich und präzise positionieren und dazu auch noch sehr klein bauen. Schrittmotoren empfehlen sich für diese außergewöhnliche Applikation außerdem, weil sie ohne Positionsrückmeldung je nach Ausführung mit einer Auflösung von bis zu 1 280 Schritten pro Umdrehung genau positionieren und in der Hand­ 38 antriebstechnik 1-2/2018

SPECIAL I DRIVES GOING GLOBAL 01 02 01 Die Panoramakamera besteht aus zwei Weitwinkelkameras, vor denen jeweils ein rotierendes Rad mit unterschiedlichen Filtern angebracht ist 02 Das Filterrad rotiert vor den beiden Weitwinkelkameras – für scharfe Bilder müssen die Objektivfilter exakt positioniert werden 03 Schrittmotoren treiben die Rotationsachsen der Filterräder und das Fokussiersystem der hochauflösenden Kamera an 03 habung deutlich einfacher und robuster sind als klassische Servomotoren. Auch der Fokussiermechanismus der hochauflösenden Kamera wird deshalb von einem solchen Precistep Schrittmotor angetrieben. Der Rotor besteht aus einem Kunststoffträger für 10 bis 12 magnetische Polpaare, je nach Motorausführung. Das große Magnetvolumen sorgt für ein hohes Drehmoment. Der Motor folgt exakt dem außen angelegten Feld, ohne dass er dafür aufwändig geregelt werden muss. „Der Schrittmotor ist somit die perfekte Lösung für unsere optische Anwendung, da er die Objektiveinstellung dank seines Rastmoments auch ohne Strom halten kann. Zudem werden durch die Ansteuerung im offenen Regelkreis Jitter (Servozittern) vermieden; es entstehen sehr scharfe und klare Bilder“, erklärt Sébastien Vaneberg, Vertriebsingenieur bei der Faulhaber Precistep SA. Diese Schweizer Gesellschaft ist innerhalb der Faulhaber Group auf besonders kleine Schrittmotoren spezialisiert. Der Motoraufbau und eigens entwickelte Fertigungsverfahren erlauben eine schnelle Anpassung der Antriebe an kundenspezifische Anforderungen. Passen sich den Anforderungen an Die an den Rotationsachsen im Filterwechselsystem der Pan Cam eingesetzten zweiphasigen Schrittmotoren der Serie AM1020 z. B. messen im Durchmesser lediglich 10 mm, sind knapp 16 mm lang und liefern ein Drehmoment von 1,6 mNm. Sie arbeiten mit einer Auflösung von 20 Schritten pro Umdrehung und sind mit einem Präzisionsgetriebe gleichen Durchmessers kombiniert, das eine Übersetzung von 64:1 liefert. In enger Engineering-Zusammenarbeit mit MSSL haben die Antriebsspezialisten die Motoren zudem für den kommenden Einsatz auf der Marsoberfläche entsprechend angepasst. Hierzu zählen z. B. ein vakuumtauglicher Trockenschmierstoff sowie angepasste Sinterlager. „Die Motoren müssen auf dem Mars überleben können“, bringt Jonathan Jones die Anforderungen an die Antriebe auf den Punkt. Und damit später nach der Landung nichts dem Zufall überlassen bleibt, testet das Mullard Space Science Laboratory die Komponenten der Panoramakamera aktuell in einer Versuchsumgebung. Die Rahmenbedingungen bei den Tests gehen dabei noch über die Verhältnisse auf dem Mars hinaus. Die Antriebe müssen 5 000 Zyklen positionieren und dabei wechselnden Temperaturen zwischen – 130 und + 50 °C ertragen. „Der Versuch läuft und die Motoren übertreffen unsere Erwartungen“, freut sich Jones. „Auf dem Markt haben wir nichts Vergleichbares gefunden, als es um die Konzeption der Antriebe ging.“ Faulhaber gehört zudem zum Standard der European Space Agency (ESA), die das Exo Mars-Projekt in Zusammenarbeit mit der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos bis 2020 auf die Startrampe bringen will. Fotos: Aufmacher, 01 und 02: ESA/ATG Medialab; 04: Faulhaber www.faulhaber.de antriebstechnik 1-2/2018 39