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antriebstechnik 8/2015

antriebstechnik 8/2015

STEUERN UND

STEUERN UND AUTOMATISIEREN Im Grenzbereich Außergewöhnliche Sondermaschine zeigt Möglichkeiten der Servotechnik Thorsten Lente Die Herstellung von Sicherheitsbauteilen für die Bauindustrie stellt hohe Anforderungen an Leistung, Flexibilität und Präzision. Für ein Sondermaschinenprojekt hat Schmale Maschinenbau daher außergewöhnliche Wege eingeschlagen und stellt zugleich ungeahnte Möglichkeiten der Servotechnik dar. Die neue Schmale-Anlage steht für den vollzogenen Wechsel in der Antriebstechnologie und demonstriert neue Entwicklungen der Maschinentechnik. Bis auf eine einzige hydraulische Klemmfunktion sind sämtliche Elemente servoelektrisch angetrieben. „Bereits die Materialzuführung beeindruckt durch Flexibilität und Effektivität. Auffallend variabel ist auch die weitere Fertigung ausgelegt, etwa mit der leistungsstarken Induktionsanlage“, weiß Vertriebsleiter Andreas Goseberg. Für Präzision sorgen u. a. mehrere integrierte Kontrollfunktionen sowie der Schmale- Servotransfer. Beachtlich sei auch die verwendete Pressentechnik: Das verbaute 300-Tonnen-Aggregat erreicht einen neuen Spitzenbereich − bei trotzdem dynamischen Abläufen. „Zu guter Letzt wirkt sich der konsequente Einsatz servoelektrisch angetriebener Komponenten deutlich auf den Thorsten Lente ist Pressesprecher bei der Schmale Maschinenbau GmbH in Altena Energieverbrauch aus“, berichtet Andreas Goseberg. Pro Betriebsstunde schlägt die Ersparnis gegenüber dem Verbrauch einer vergleichbaren hydraulischen Lösung im Schnitt mit circa 250 kW zu Buche. Taktleistungsgeführter Horizontal-Haspel In der Materialzuführung zeigt sich eine Besonderheit der neuen Anlage: Auch wenn Schmale oft auf Haspel von Drittherstellern zurückgreift, die speziellen Anforderungen dieses individuellen Projekts konnte kein Produkt am Markt erfüllen. Für das Entwicklerteam stellte das allerdings kein Problem dar: Es konstruierte einen eigenen Haspel mit einen 1,80 m langen, horizontalen Dorn. Dieser kann ohne weiteres mit bis zu 3 t schweren Coils beladen werden. Taktleistungsgeführt angetrieben läuft der Haspel nicht mit einer festen Geschwindigkeit, sondern passt sich eben dem Maschinentakt an. Zudem ist er mit einer integrierten Materialeinzugshilfe ausgestattet, um den Drahtanfang ins Richtwerk einzuschieben. Mit der nächsten Station folgt ein weiteres Highlight: Das Sechsfach-Revolver-Richtwerk verfügt über sechs Richtstrecken mit jeweils sieben Horizontal- und Vertikalrollen. „Das ist deshalb sinnvoll, weil der Kunde mit sechs festen Durchmessern fährt“, erläutert der Schmale-Unternehmenssprecher. Es gibt also eine Strecke für jede Materialdicke. Das Richtwerk rotiert elektrisch angetrieben in die gerade benötige Position für den jeweils zugeführten Draht; die gewählte Voreinstellung bleibt erhalten. Goseberg: „Das Thema Rüstzeitoptimierung war hier der treibende Gedanke.“ Dem Richtwerk schließen sich zuerst ein servoelektrischer Rolleneinzug und dann eine Abschnittsvorrichtung an. Letztere besteht aus einer 40-Tonnen-Servopresse, die Draht bis 20 mm Durchmesser durchschneidet. In den sehr schnellen sowie sehr präzisen Rolleneinzug ist ein sogenanntes Messrad integriert, so dass eventuelle Längenschwankungen ausgeglichen werden können. 32 antriebstechnik 8/2015

STEUERN UND AUTOMATISIEREN 01 Der konsequente Einsatz servoelektrischer Aggregate wirkt sich positiv auf die Energiebilanz aus 02 Die Induktionsanlage lässt sich über das Bedienpanel leicht programmieren und feinstufig regeln 03 Das Servotransfersystem befördert die Drahtabschnitte aus der Induktionsanlage in die erste Pressenstufe Alternative Zuführung und Richtungswechsel Flexibilität bei der Materialzuführung bietet ein Bunkerförderer. Die alternative Lösung geht auf den Wunsch des Auftraggebers zurück, wahlweise Coilmaterial oder vorproduzierte Stablängen zum Prozess zuführen zu können. Die sowohl vom Haspel als auch aus dem Bunkermagazin zugeführten Drahtabschnitte werden als Nächstes durch eine Schwenkvorrichtung aus der Längsrichtung in die Querrichtung gebracht. Der kleine Zwischenschritt ermöglichte es den Schmale-Entwicklern, die gesamte Fertigungsstraße in einer Linie auszurichten. Ohne diesen Kunstgriff wäre es erforderlich gewesen, die Anlage im 90-Grad-Winkel aufzubauen. „Das würde sich bei einer solch großen Maschine sehr deutlich auf den Stellplatz auswirken und Hallenfläche vergeuden, die letztlich viel Geld kostet“, betont der Vertriebsleiter. Nach dem Schwenken wird der Draht in eine Induktionsanlage transportiert. „Das ist ebenfalls eine Technologie, mit der wir uns in den letzten Jahren intensiver beschäftigt und die wir ein gutes Stück vorangetrieben haben“, unterstreicht Goseberg. Per Induktion ließe sich Stahl problemlos auf bis zu 1000 °C erwärmen. Im aktuellen Projekt reicht hingegen eine Temperatur von im Mittel zwischen 600 und 700 °C aus. Außerdem werden nur die Stabenden aufgeheizt − und das überhaupt erst ab einem bestimmten Durchmesser. Doppelte Messung vor erster Pressenstufe 04 Die 300-Tonnen- Doppelstauchpresse der Schmale-Anlage markiert einen neuen Spitzenbereich Ein servoelektrisch angetriebenes Lineartransfersystem befördert die Drahtstäbe aus der Induktion in die erste Pressenstufe. Vor der Massivumformung durchlaufen diese jedoch noch eine Messstation. Etwaige Schwankungen der aus dem Bunkermagazin zugeführten Rohlinge erfordern eine Prüfung der Länge. „Für die in der Anlage hergestellten Drahtabschnitte ist die Überwachung eigentlich nicht notwendig, läuft aber permanent mit“, ergänzt Goseberg. Zugleich findet in der Messstation eine Temperaturkontrolle statt. „Das ist sehr wichtig, da es sich um ein baurechtlich zugelassenes Sicherheitsbauteil handelt“, so der leitende Schmale-Mitarbeiter. Den Vorgaben nicht entsprechende Artikel werden somit direkt ausgeschleust. Die abschließende Pressensektion gliedert sich in zwei hintereinander geschaltete, separate Vorgänge auf, in denen Köpfe von bis zu 60 mm im Durchmesser an den Stabenden angeformt werden. Da sehr viel Material gepresst werden muss und die Knicklänge der Drahtabschnitte nicht überschritten werden darf, ist die Aufteilung des Stauchprozesses in eine Vor- und eine Fertigstufe notwendig. Die sehr massiven Artikel erfordern überdies die Mobilisierung enormer Umformkräfte. Letzteres ist dem Schmale-Team mit der Realisierung einer servoelektrisch angetriebenen Doppelstauchpresse auch gelungen. Während die drei Achsen und Festhalter der Vorstauchstufe jeweils 2000 kN erzeugen, leisten die beiden Achsen der Fertigstauchstufe dann einzeln bis zu 3000 kN. „Das sind insgesamt schon sehr dynamische Stauchbewegungen, wenn man sich die Kräfte anschaut, die aufgebaut werden müssen, und die Wege, die gefahren werden“, teilt Firmensprecher Goseberg mit. Möglich machen diese vier Planetengetriebe, die jeweils über ein maximales Drehmoment von 40 000 Nm verfügen. Als Servomotoren kommen Simotics M Kompakt-Synchronmotoren von Siemens zum Einsatz (186KW, 888NM, 330A, 380V mit Wasserkühlung). Die Planetengetriebe vom Typ TP+ 4000 High Torque werden von Wittenstein Alpha geliefert. www.schmale-gmbh.de antriebstechnik 8/2015 33