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antriebstechnik 8/2015

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Eine neue Leitlinie Für

Eine neue Leitlinie Für den bruchmechanischen Nachweis von Planetenträgern aus EN-GJS-700-2 für Getriebe von Windenergieanlagen L. Heine, U. A. Özden, C. Broeckmann, F. Krull, P. Langenberg Um den steigenden Anforderungen der Zertifizierer zu begegnen, wurde im Arbeitskreis „Planetenträger“ des Fachverbands Antriebstechnik im VDMA das Einheitsblatt 23902 formuliert. Es liefert dem Konstrukteur einen wichtigen Rahmen für den bruchmechanischen Nachweis eines Planetenträgers aus EN-GJS-700-2. 01 FE-Modell eines Planetenträgers unter Einwirkung eines Torsionsmoments um die X-Achse D er Planetenträger des Hauptgetriebes einer Windenergieanlage stellt maximale Anforderungen an Steifigkeit und Festigkeit des Konstruktionswerkstoffs. Dem wird mit dem hochfesten Sphäroguss EN-GJS-700-2 begegnet, der jedoch durch eine extrem niedrige Duktilität gekennzeichnet ist. Vor dem Hintergrund der Laufzeitverlängerung und den zunehmenden Installationszahlen von Windenergieanlagen an Kaltwetterstandorten fordern Zertifizierer, als Ergänzung zum konventionellen, einen bruchmechanischen Festigkeitsnachweis. Das VDMA-Einheitsblatt 23902 [1] definiert Randbedingungen sowie Eingangsparameter für den bruchmechanischen Festigkeitsnachweis und erläutert diesen detailliert für den spezifischen Anwendungsfall eines Planetenträgers aus EN-GJS-700-2. Luisa-Marie Heine, M. Sc. und Utku Ahmet Özden, M.Sc., sind Wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Werkstoffanwendungen im Maschinenbau (IWM) der RWTH Aachen Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christoph Broeckmann ist Leiter des Instituts für Werkstoffanwendungen im Maschinenbau (IWM) der RWTH Aachen Dr. Frank Krull ist Entwicklungsleiter bei der Eickhoff Antriebstechnik GmbH in Bochum Dr.-Ing. Peter Langenberg leitet das Ingenieurbüro für Werkstofftechnik IWT in Aachen Wann ist ein bruchmechanischer Nachweis zu führen? Die Bruchmechanik basiert auf der Annahme, dass im Bauteil enthaltene Defekte Ausgangspunkt eines Risses sein können. Ziel ist die Vorhersage deren Ausbreitungsverhalten unter Beanspruchung. Folglich wird im Einheitsblatt 23902 zunächst definiert, unter welchen Bedingungen ein bruchmechanischer Nachweis zu erbringen ist. Dies erfolgt in Anlehnung an die maßgeblichen, internationalen Regelwerke zur Auslegung von Getrieben einer Windenergieanlage, IEC 61400-1 [2] und IEC 61400-4 [3], sowie unter Berücksichtigung von Gusssimulation und Bauteilprüfung durch zerstörungsfreie Prüfverfahren, wie Ultraschall- [4], Magnetpulver- [5] und Farbeindringprüfung [6]. Welche Eingangsgrößen werden benötigt? Der eigentliche Nachweis untergliedert sich in mehrere Arbeitsschritte, wie sie Bild 02 zeigt, und beginnt mit der Ermittlung der Eingangsgrößen. Mit dem Fehlermodell sollen fertigungsbedingte Ungänzen wiedergegeben werden, wobei zwischen Oberflächen- und Volumenfehlern unterschieden wird. Die Einteilung der Fehler und Fehlerabmessungen basiert auf den Gütestufen der zerstörungsfreien Prüfverfahren. Eine weitere, wesentliche Eingangsgröße ist die durch äußere Lasten im Bauteil hervorgerufene Beanspruchung. Diese wird vorzugsweise mittels einer Finiten 02 Arbeitsschritte des bruchmechanischen Nachweises 24 antriebstechnik 8/2015

GETRIEBE UND GETRIEBEMOTOREN Elemente Simulation bestimmt. Bild 01 zeigt exemplarisch das Modell eines Planetenträgers, wo sich unter Einwirkung eines Torsionsmoments der Übergang von Schaft zu Käfig (siehe Vergrößerung) als kritischste Bauteilstelle erweist. Im Hinblick auf einen statischen Nachweis wird für diesen Hotspot der Verlauf der ersten Hauptnormalspannung über der Wandstärke unter Einwirkung von Extremlasten bestimmt, während beim zyklischen Nachweis dieser analog unter Einwirkung eines Lastkollektivs ermittelt wird. Der Beanspruchung widersetzt sich die dritte wichtige Eingangsgröße, die Beanspruchbarkeit des Werkstoffs. Der Planetenträger wird regulär im Sandgussverfahren aus EN-GJS-700-2 gefertigt. Diese graue Gusseisengüte mit Kugelgraphit zeichnet sich durch eine Zugfestigkeit von etwa 700 MPa und einer Bruchdehnung von rund 2 % aus. Der hohen Festigkeit steht eine extrem niedrige Zähigkeit gegenüber, wie es Bild 03 mit dem Verlauf der Kerbschlagarbeit über der Temperatur verdeutlicht. Für einen Kaltwetterstandort sind die Komponenten einer Windenergieanlage für -40 °C auszulegen. Hier befindet sich EN-GJS-700-2 bereits in der Tieflage, was die werkstofftypische niedrige Zähigkeit nochmals verschärft. Die Linear Elastische Bruchmechanik, welche unterstellt, dass plastische Bereiche von vernachlässigbarem Ausmaß sind, ist geeignet das Werkstoffverhalten von EN-GJS-700-2 zu beschreiben. Im Rahmen eines statischen Nachweises ist für spröde Werkstoffe die Bruchzähigkeit der kritische Grenzwert. Wird diese von der Beanspruchung überschritten, setzt Rissinitiierung ein, unmittelbar gefolgt von Rissinstabilität. Im Rahmen eines zyklischen Nachweises sind der Schwellwert für Rissausbreitung sowie die Parameter eines Rissfortschrittsgesetztes zu bestimmen. Somit kann beurteilt werden, ab welcher Beanspruchung ein Riss wächst und wie schnell dies erfolgt. Welche Strukturmodelle bieten sich an? Das Strukturmodell soll sowohl die Bauteilgeometrie als auch den darin enthaltenen Riss und die auf ihn wirkende Beanspruchung wiedergeben. Es existieren zahlreiche Modelle, die eine Substitution der komplexen Bauteilstruktur erlauben und für die eine analytische Lösung des Spannungsintensitätsfaktors, der die Verhältnisse an der Rissspitze beschreibt, vorliegt. Auf Grund der äußeren Gestalt des Planetenträgers bieten sich das Modell einer Platte oder insbesondere das eines Hohlzylinders an. Letzteres zeigt Bild 04 schematisch mit azimutal orientiertem Oberflächenriss (rot hervorgehoben). Wie wird der Nachweis erbracht? Zunächst wird im Rahmen eines statischen Nachweises die kritische Risslänge bestimmt. Hierzu wird die durch äußere Beanspruchung hervorgerufene Spannungsintensität der Bruchzähigkeit gleichgesetzt. Unter Berücksichtigung von Sicherheitsfaktoren gilt der Nachweis als erbracht, wenn die berechnete, kritische Risslänge größer als die im Fehlermodell spezifizierte Ausgangsrisslänge ist. Im Rahmen des zyklischen Nachweises wird ausgehend von der Ausgangsrisslänge der Risszuwachs unter Einwirkung eines Lastkollektivs berechnet. Wenn die sich ergebende Endrisslänge kleiner als die kritische Risslänge des statischen Nachweises ist, gilt das Bauteil als sicher. Derzeit erfolgt die Überführung des Einheitsblattes 23902 in eine englischsprachige Ausgabe. Abhängig von den Standortbedingungen könnte ein bruchmechanischer Nachweis auch für zähere Gusseisengüten notwendig werden. Die Ausarbeitung einer entsprechenden Richtlinie unter Berücksichtigung der Elastisch Plastischen Bruchmechanik ist derzeit in Planung. www.iwm.rwth-aachen.de Literaturhinweise: [1] VDMA 23902 − Leitlinie für den bruchmechanischen Nachweis von Planetenträgern aus EN-GJS-700-2 für Getriebe von Windenergieanlagen, Berlin: Beuth Verlag GmbH, 2014. [2] IEC 61400-1 Wind turbines − Part 1: Design requirements, Genf, 2005. [3] IEC 61400-4 Wind turbines − Part 4: Design requirements for wind turbine gearboxes, Genf, 2012. [4] DIN EN 12680-3 Gießereiwesen − Ultraschallprüfung − Teil 3: Gussstücke aus Gusseisen mit Kugelgraphit, Berlin: Beuth Verlag GmbH, 2012. [5] DIN EN 1369 Gießereiwesen − Magnetpulverprüfung, Berlin: Beuth Verlag GmbH, 2013. [6] DIN EN 1371-1 Gießereiwesen − Eindringprüfung − Teil 1: Sand-, Schwerkraftkokillenund Niederdruckkokillengussstücke, Berlin: Beuth Verlag GmbH, 2012. [7] DIN EN ISO 148-1 Metallische Werkstoffe − Kerbschlagbiegeversuch nach Charpy − Teil 1: Prüfverfahren, Berlin: Beuth Verlag GmbH, 2011. [8] C. Berger, Bruchmechanischer Festig - keits nachweis für Maschinenbauteile, Frankfurt, M: VDMA-Verlag, 2009. 03 Kerbschlag arbeit über Temperatur bestimmt an Probe mit V-Kerbe nach DIN EN ISO 148-1 [7] und Gefügeaufnahme für EN-GJS-700-2 04 Strukturmodell eines Hohlzylinders mit Oberflächenriss (rot hervorgehoben) [8]