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antriebstechnik 6/2019

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KOMPONENTEN UND SOFTWARE

KOMPONENTEN UND SOFTWARE MASCHINENRICHTLINIE WAS SIE BEI MODERNISIERUNGEN BEACHTEN MÜSSEN Für Maschinenbetreiber ist bei Umbauten oder Modernisierungen auf den ersten Blick nicht klar, warum jetzt Gefährdungen betrachtet werden müssen. Denn die neu eingebaute Komponente ändert nichts an der Funktion. Doch der Betreiber ist verpflichtet, bei jeder Veränderung eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Dieser Artikel gibt Aufschluss darüber, was Sie wissen sollten. Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Roboter bestückt die Warenträger automatisch mit Teilen. Der Roboter muss schließlich aufgrund von Ersatzteilmangel ausgetauscht werden. Im dargestellten Beispiel führt das u. a. zu Verbesserungen der Prozessgeschwindigkeit. Der Betreiber stellt sich die Frage, ob die mit der Modernisierung einhergehenden Änderungen Einfluss auf die Sicherheitsfunktionen der Maschine haben. Zudem interessiert ihn, ob der Retrofit aus Sicht der Maschinensicherheit zu einer „wesentlichen Veränderung“ der Maschine führt. Denn bei einer „wesentlichen Veränderung“ ist die Maschine nach Maschinenrichtlinie (MRL) wie ein neues Produkt zu behandeln. Das bedeutet, dass der Betreiber die EG-Konformität der Maschine neu bewerten und eine neue Konformitätserklärung ausstellen muss, um wieder die CE-Kennzeichnung zu erhalten. Unternehmen scheuen häufig vor umfassenden Retrofit-Plänen und damit einhergehenden Maßnahmen zurück, weil sie im Falle einer Neubewertung und dem damit verbundenen Bewertungsverfahren die komplette Verantwortung für die gesamte Maschine tragen müssen. Von einer gründlichen Anlagendokumentation ausgehend können jedoch viele Änderungen vorgenommen werden, ohne dass die Maschine damit „wesentlich verändert“ werden muss. Um dies feststellen zu können, sind mehrere Fragen zu beantworten. Dazu wurde am 9. April 2015 vom deutschen Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ein Interpretationspapier zur Veränderung von Maschinen veröffentlicht. Dieses ist an das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) angepasst und enthält neue Erkenntnisse der Risikobeurteilung. mit den ursprünglichen Beschreibungen wird geprüft, ob durch den Umbau eine neue Gefährdung entstanden ist. Hierbei müssen alle Lebensphasen und Tätigkeiten berücksichtigt werden. Denn der Betreiber darf nur Maschinen zur Verfügung stellen, deren Verwendung nach dem Stand der Technik sicher ist. Existieren durch den neu installierten Roboter im genannten Beispiel keine neuen Gefährdungen, wird geprüft, ob eine Erhöhung des vorhandenen Risikos vorliegt. Da der Austauschroboter eine höhere Prozessgeschwindigkeit besitzt, kann es dadurch unter Umständen zu neuen Gefährdungen kommen. In jedem Einzelfall muss ermittelt werden, ob die Veränderungen an der Maschine sicherheitsrelevante Auswirkungen nach sich ziehen. Da eine neue Gefährdung bzw. eine Erhöhung eines vorhandenen Risikos durch die höhere Geschwindigkeit vorliegt, wird geprüft, ob die vorhandenen Schutzmaßnahmen der Maschine weiterhin ausreichen oder geeignet sind. Ist durch das bestehende Schutzkonzept die neue Gefährdung bzw. die Risikohöhe ausreichend minimiert und erfüllt die Anlage alle Anforderungen der gesetzlichen Vorgaben, so liegt keine wesentliche Veränderung der Anlage vor. Entsprechend behält die alte Konformitätserklärung ihre Gültigkeit und es ist kein neues Konformitätsbewertungsverfahren notwendig. Die vorhandene Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes und des Arbeitsmittels wird vom Betreiber entsprechend angepasst. IST DIE VERÄNDERUNG SICHERHEITSRELEVANT? Der Betreiber ist verpflichtet, bei einem Maschinenumbau, bzw. einer Anpassung oder Modernisierung eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Diese stellt ein modernes Instrument zur Arbeitssicherheit dar, die gegenüber der herkömmlichen Unfallverhütung auch die betrieblichen Belange berücksichtigt. Bei einem Vergleich Marco Vry ist Senior Projektmanager der Ce-Con GmbH in Bremen und Alexandra Langstrof ist freie Mitarbeiterin der Ce-Con GmbH in Erkrath 40 antriebstechnik 2019/06 www.antriebstechnik.de

KOMPONENTEN UND SOFTWARE WESENTLICHE VERÄNDERUNG VON MASCHINEN Werden bei Umbauten oder Modernisierungen „wesentliche Veränderungen an Maschinen“ vorgenommen, erlischt die Konformitätserklärung des ursprünglichen Herstellers und der Betreiber ist im Gegenzug verpflichtet, die Konformität selbst zu bewerten. Ein Beispiel: Eine bestehende Fertigungsstrecke soll durch einen Fertigungsschritt ergänzt werden. Dabei kommt eine zusätzliche Maschine zum Einsatz, die aber nur bei einem bestimmten Produkttyp benötigt wird. Außerdem ist vorgesehen, ein Kamerasystem anzubringen, das den korrekten Sitz der Anbauteile feststellt, bzw. die unterschiedlichen Produkttypen automatisch erkennt. Um diese Änderungen integrieren zu können, muss der Schutzzaun vor dem Senkrecht-Förderer entfernt werden. In diesem Bereich entstehen neue Gefahrenstellen. Diese werden durch das Gestell des Kamerasystems und das Fördersystem verursacht. Das Unternehmen muss den Arbeits- und Gesundheitsschutz den Veränderungen entsprechend anpassen. Zum einen erhöht sich das Risiko bei bestehenden Gefährdungen (Senkrecht-Förderer). Zum anderen kommen neue Gefährdungen hinzu (Scherstelle Kamerasystem). Ist das bestehende Sicherheitskonzept, das innerhalb der Konformitätsbewertung der Maschinenhersteller ausgearbeitet wurde, nach dem Umbau nicht mehr ausreichend und das Risiko mit einfachen Schutzeinrichtungen weder eliminiert noch ausreichend minimiert, so liegt eine „wesentliche Veränderung der Maschine“ vor. SCHUTZEINRICHTUNGEN IM ZEITALTER VON INDUSTRIE 4.0 Wo früher Schutzzäune das Erreichen verhindert haben, können heute optisch trennende Schutzeinrichtungen für die gleiche Sicherheit sorgen. Sie sorgen dafür, dass die Maschine bei Annäherung anhält. Schutzabdeckungen können so gestaltet werden, dass der Arbeitsablauf an Arbeitsplätzen nicht beeinträchtigt wird. Im aufgeführten Beispiel, bei dem eine bestehende Fertigungsstrecke um einen zusätzlichen Fertigungsschritt ergänzt werden soll, könnte das Sicherheitskonzept folgendermaßen aussehen: Durch einen Sicherheitslaserscanner wird der Bereich vor der eigentlichen Gefährdung auf dem Hallenboden überwacht. Durch Verletzung des Schutzfeldes wird die komplette Fertigungsstrecke sicherheitsgerichtet still gesetzt, sodass keine Gefahr bringende Bewegung der Maschine mehr vorhanden ist. Hierbei ist die Annäherungsgeschwindigkeit von Körperteilen, Stoppzeit der Maschinenbewegung und Reaktionszeit der Bauteile der Sicherheitsfunktion zu berücksichtigen. Abschließend sei erwähnt, dass im Alltag häufig Schutzeinrichtungen kombiniert werden. Zum Beispiel werden Lichtgitter und Veränderung Liegt eine neue Gefährdung vor? Ja Führt die neue Gefährdung zu einem Risiko? Ja Sind die vorhandenen Schutzmaßnahmen ausreichend? Nein Kann mit einfachen Schutzeinrichtungen das Risiko eliminiert oder ausreichend minimiert werden? Nein wesentliche Veränderung Der Betreiber ist verpflichtet, die Frage nach der „wesentlichen Veränderung“ zu klären Türen, die in feststehenden trennenden Schutzeinrichtungen eingebaut sind, mit Zustimmtastern und Zweihandbedienungen für eine bestimmte oder mehrere Bewegungen verbunden. Für die Konstrukteure bedeutet dies, dass eine fachlich korrekt durchgeführte Risikobeurteilung mit zugehöriger Abschaltmatrix und einem Safety Layout erstellt werden muss. Dieser aufwändige Prozess der Konstruktion und Verifikation ist notwendig, um alles zu prüfen und für Dritte nachvollziehbar zu dokumentieren. Denn nur, wer bereits von Beginn an abteilungsübergreifend an Sicherheit denkt und diese mit durchgängiger Terminologie in Schaltplänen, Risikobeurteilung und Benutzerinformation dokumentiert, kann eine Konformitätserklärung mit den Anforderungen von anzuwendenden Richtlinien und Normen unterzeichnen. Fotos: Ce-Con GmbH www.ce-con.de Nein Nein Ja Ja Liegt die Erhöhung eines Risikos vor? Ja Nein keine wesentliche Veränderung SCANIUS-LINE Moving into anew Direction „Aussteller LASER 2019, Halle B3, Stand B3.422“ piezosystem-MH.indd 1 23.05.2019 10:55:50 www.antriebstechnik.de antriebstechnik 2019/06 41