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antriebstechnik 6/2016

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WÄLZ- UND GLEITLAGER

WÄLZ- UND GLEITLAGER „Es dreht und dreht und …“ Seit über 15 Jahren sorgen FAG Lager für die Sicherheit des London Eye Dirk Schaar Es sollte nur fünf Jahre stehen bleiben. Nun sind es bereits mehr als 15 geworden. Ich habe mich auf den Weg nach London gemacht, um mehr über den Zustand der eingebauten Lager zu erfahren. Auch am Firmensitz in Deutschland konnte ich interessante Einblicke in die Geschichte des einst größten Riesenrads der Welt gewinnen. Was für ein toller Morgen! Noch ziehen zwar ein paar Wolken über die Stadt, aber die ersten Sonnenstrahlen lassen doch auf einen vielversprechenden Tag hoffen. Ich lasse meinen Blick schweifen und genieße das herrliche Panorama, welches sich vor mir allmählich auftut. Links unter mir erblicke ich einen altehrwürdigen Gebäudekomplex, der aus meinem Blickwinkel seine komplette Schönheit entfaltet – der Westminster Palace mit seinem wohl noch bekannteren Glockenturm Big Ben. Knapp dahinter scheint die Kuppel von Westminster Abbey hervor und wenn ich mein Auge in Richtung Horizont bewege, ragt dort über dem satten Grün der Baumwipfel von St. James Park das Dach des Buckingham Palace hervor. Ob die Queen wohl heute da ist, überlege ich mir, aber die vielen Eindrücke des grandiosen Panoramas lassen mich diesen Gedanken schnell wieder vergessen. Ich drehe mich nach rechts und lasse meinen Blick entlang der Bögen der Themse schweifen. Hier und da ein Schiff bahnen sich den Weg durch Großbritanniens Hauptstadt, vorbei an den Sehenswürdigkeiten wie St. Pauls Kathedrale oder Tower Bridge. Beide bleiben mir am höchsten Punkt meiner Reise nun auch mir nicht mehr verborgen, so dass ich in diesem Moment wohl zu den Millionen Menschen gehöre, die in jedem Jahr wohl das gleiche Gefühl erleben dürfen: Eine Rundfahrt mit dem London Eye. Wie ich haben auch zu dieser frühen Stunde bereits zahlreiche Touristen mit Sicherheit viel Spaß dabei, in etwa 30 Minuten den Dirk Schaar ist Chefredakteur der antriebstechnik Danksagung Ich möchte mich ganz herzlich bei Karen Preston und Chris Head von Schaeffler UK für die tolle Unterstützung vor Ort in London bedanken. Mein Dank gilt auch Dieter Göbel und Gerhard Halbig von Schaeffler in Schweinfurt, die mir eindrucksvoll die Entstehung des London Wheels geschildert haben und natürlich der Firma Coca-Cola, die uns die Interviews in der Kapsel ermöglicht haben. mit Abstand eindrucksvollsten Blick auf die Londoner City zu genießen. Ich interessiere mich aber noch für einen gänzlich anderen Aspekt: Wie wird eigentlich auf technischer Seite die Sicherheit des London Eye gewährleistet? Und dafür geht mein Blick durch die gläserne Kapsel hindurch zielgerichtet auf die Nabe des Riesenrads. In diesem Herzstück befinden sich die zwei metergroßen und tonnenschweren FAG Pendelrollenlager, die für den reibungslosen Dreh sorgen. Aus neuer Perspektive Ortswechsel: Schweinfurt, Deutschland. Hier am Hauptsitz der Industriesparte von Schaeffler treffe ich Dieter Göbel, Application Engineering Wind Energy Turbines und Gerhard Halbig, Department Manager Service Operations. Beide kennen das Projekt London Eye wie ihre Westentasche, denn sie waren sozusagen seit der ersten Stunde im Jahr 1995 involviert. Aber der Reihe nach. In den letzten Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab es eine große Nachfrage nach Sehenswürdigkeiten und Veranstaltungen, um die bevorstehenden Jahrtausendwende zu feiern. Die visionären Architekten, David Marks und JuliaBarfield, hatten eine erstaunlich 28 antriebstechnik 6/2016

WÄLZ- UND GLEITLAGER 01 Chefredakteur Dirk Schaar (Mitte) trifft Karen Preston und Chris Head vor den London Eye einfache, aber kühne Idee: Sie wollten für London ein schönes und technologisch innovatives Bauwerk schaffen, das auch Besuchern die Chance ermöglicht, eine der größten Städte der Welt aus einer neuen und aufregenden Perspektive zu sehen. Sie entschieden also, dass ein Riesenrad das ideale Symbol für den Schritt in neue Jahrtausend wäre. So war die Idee geboren. „Wir bekamen bereits im Oktober 1995 die erste technische Anfrage zur Preisfindung der konzipierten Lagerung“, erinnert sich Dieter Göbel. Das britische Luftfahrtunternehmen British Airways hatte mit seinem Projekt ein Londoner Ingenieurbüro beauftragt, welches wiederum einen japanischen Konzern mit der Gesamtprojektierung beauftragte. „Wir prüften also die Machbarkeit und erarbeiteten ein Angebot, das wir im zweiten Schritt im Jahr 1998 nach Korrekturen der Lastbedingungen noch einmal vorlegten. Unsere Idee war der Einsatz von zwei Pendelrollenlagern“, so Dieter Göbel. Der Auftrag ging aber schließlich an einen Wettbewerber in Japan. „Zu unserer Überraschung erhielten wir im September 1998 eine Anfrage zur Lagerauslegung des London Eye von einer niederländischen Firma. Inzwischen hatte diese den Auftrag zum Bau erhalten“, erzählt Gerhard Halbig erstaunt. Die Lagerauslegung wurde daraufhin umgehend im Oktober 1998 umgesetzt und der Schweinfurter Lagerspezialist erhielt bereits einen Monat später den Auftrag zur Lieferung. Die Bedingungen waren allerdings enorm, denn die Lager mussten innerhalb von 20 Wochen geliefert werden. „Eine große Herausforderung, die wir aber annehmen wollten, wussten wir doch, dass wir über das notwendige Know-how aus zahlreichen Großprojekten und einer über 100-jährigen Tradition verfügten. Auch galten wir bereits damals als ein bevorzugter Ent wicklungspartner und Lieferant, wenn es um besondere und clevere Lagerlösung geht“, so Gerhard Halbig. 10 beeindruckende Fakten und Zahlen über das London Eye n Im London Eye finden pro Umdrehung 800 Gäste Platz – das entspricht 11 roten Doppeldecker-Bussen n Von der Spitze aus kann man rund 40 km weit sehen – so weit wie nach Windsor Castle an einem klaren Tag n Jede der 32 Kapseln wiegt 11 t. Das ist das gleiche Gewicht wie 1 157 894 Pfund-Münzen n In einem Jahr dreht das London Eye 7 668-mal oder 2 300 Meilen, so weit von London nach Kairo in Ägypten n Jede Umdrehung dauert etwa 30 Minuten, was bedeutet, dass sich eine Kapsel 26 cm/s oder 0,9 km/h bewegt – doppelt so schnell wie eine sprintende Schildkröte n Es benötigte sieben Jahre und die Fähigkeiten von Hunderten von Menschen aus fünf Ländern, um das London Eye Wirklichkeit werden zu lassen n Die 80 Speichen haben eine Gesamtlänge von 6 km n Das Gesamtgewicht von Rad und Kapseln beträgt 2 100 t – oder so viel wie 1 272 schwarze London Taxis n Die Spindel ist 23 m lang – die Höhe von neun klassischen roten Londoner Telefonzellen n Es gibt 32 Kapseln insgesamt. Sie sind bis 33 nummeriert, Kapsel Nr. 13 wurde aus abergläubischen Gründen weggelassen antriebstechnik 6/2016 29