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antriebstechnik 5/2016

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Superlative für Hamburg

Superlative für Hamburg Hochpräzise und dynamische Antriebssteuerung für den Europäischen Röntgenlaser Stefan Ziegler In Hamburg entsteht eine Forschungsanlage der Superlative: Der Röntgenlaser European XFEL soll ab 2017 ultrakurze Laserlichtblitze im Röntgenbereich erzeugen – 27 000 Mal in der Sekunde. Die PC-basierte Steuerungs- und Antriebstechnik von Beckhoff positioniert dabei 91 spezielle Magnetanordnungen des zugrunde liegenden Elektronenbeschleunigers. D er Röntgenlaser European XFEL wird mit seinen laserartigen Röntgenblitzen völlig neue Forschungsfelder erschließen: So lassen sich u. a. dreidimensionale Aufnahmen aus dem Nanokosmos aufnehmen, atomare Details von Viren und Zellen entschlüsseln sowie selbst extrem schnelle chemische Reaktionen untersuchen. Dabei wird die von der Forschungsorganisation European XFEL, Hamburg, betriebene 3,4 km lange und größtenteils unterirdisch Stefan Ziegler ist tätig im Bereich Marketing Communications bei Beckhoff Automation GmbH & Co. KG in Verl verlaufende Anlage, Wissenschaftlerteams aus aller Welt für Experimente zur Verfügung stehen. Zurzeit beteiligen sich elf Länder am Bau der Anlage: Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Russland, Schweden, Schweiz, Slowakei, Spanien und Ungarn. Besonderheit des European XFEL ist die extrem hohe Wiederholrate von 27 000 Röntgenblitzen pro Sekunde, die durch die supraleitende Beschleunigertechnologie ermöglicht wird. Die Wellenlänge der Blitze ist mit 0,05 bis 6 nm so klein, dass selbst atomare Details erkennbar werden. Und mit einer Zeitdauer von unter 100 Femtosekunden (1 fs = 10 -15 s ) lassen sich sogar die Bildung von Molekülen oder die Umkehrung von Magnetisierungen filmen. Zudem sind aufgrund der Laserlicht-Eigenschaften auch 3-D-Aufnahmen auf atomarer Ebene möglich. Röntgenblitze von beschleunigten Elektronen Ausgangspunkt für die Entstehung der Röntgenblitze ist ein 1,7 km langer, supraleitender Elektronen-Linearbeschleuniger. In ihm werden Elektronen in Paketen auf hohe Energien und nahezu Lichtgeschwindigkeit gebracht. Die Beschleunigung erfolgt in besonders geformten Hohlräumen, den sogenannten Resonatoren. Diese sind supraleitend und ermöglichen einen äußerst feinen 48 antriebstechnik 5/2016

STEUERN UND AUTOMATISIEREN 01 Dr. Suren Karabekyan (links) erläutert Nils Burandt, Beckhoff- Niederlassung Lübeck, das physikalische Prinzip der Lichterzeugung eines Undulators 02 Jede der 91 Undulatorzellen wird durchgängig per PC-based Control gesteuert 01 02 03 Vier Servomotoren AM3052 je Undulatorzelle sorgen – gesteuert per Twincat NC PTP – für präzise positionierte Magnetstrukturen 03 04 04 Die drei Undulatorbereiche SASE 1 bis 3 werden übergeordnet über je einen 19-Zoll-Einschub- IPC C5210 gesteuert und gleichmäßigen Elektronenstrahl, wie ihn ein Röntgenlaser erfordert. Die beschleunigten Elektronen rasen anschließend durch sogenannte Undulatoren, das heißt spezielle Magnetanordnungen, die die Teilchen auf einen engen Slalomkurs zwingen. Dabei senden die Elektronen Röntgenlicht aus, das sich aufgrund der Wechsel wirkung des Lichts mit den Elektronen immer mehr verstärkt. Denn da sich das Licht schneller ausbreitet als die Elektronen, überholt das Licht die Teilchen und wirkt dabei auf diese ein. Einige Elektronen werden beschleunigt, andere abgebremst. Als Folge davon ordnen sich die Elektronen in zahlreichen dünnen Scheiben an. Sämtliche Elektronen in einer Scheibe strahlen nun im Gleichtakt, wodurch extrem kurze und intensive Röntgenblitze mit den Eigenschaften von Laserlicht entstehen. Für dieses Prinzip der selbstverstärkten spontanen Emission (Self-Amplified Spontaneous Emission; SASE) sind mehrere Undulatoren, sogenannte Undulator-Systeme, erforderlich, die hinter dem Beschleuniger fächerförmig angeordnet sind. Beim European XFEL sind bei Betriebsstart zunächst drei Undulator-Systeme vorgesehen – SA­ SE 1 und 2 mit jeweils 35 sowie SASE 3 mit 21 Undulatorzellen. Die Gesamtlänge aller Undulator-Systeme beträgt 555,1 m. PC-based Motion Control steuert die Undulatoren Ein Undulator besteht aus zwei Magnetstrukturen, deren Abstand bei konstanter Energie der beschleunigten Elektronen ausschlaggebend für die Wellenlänge des Laserlichts ist. Hieraus ergeben sich äußerst hohe Anforderungen an die Antriebssteuerung, wie Dr. Suren Karabekyan, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei European XFEL, erläutert: „Jede der beiden Magnetstrukturen wird von zwei Servomotoren bewegt. Diese müssen hochsynchron an gesteuert werden, um eine Phasenverschiebung zwischen den Elektronen- und Photonenbündeln zu verhindern. Dieses ist wichtig für die Spektrum- Scan-Experimente, bei denen es auf die hochdynamische Durchstimmbarkeit der Photonen-Wellenlänge ankommt. Der Folgefehler muss hierbei unter 1 µm liegen. Zudem ist hinsichtlich des Abstands der Magnetstrukturen eine Wiederholgenauigkeit von ±1 µm sicherzustellen. Das gewährleistet eine hohe Reproduzierbarkeit der magnetischen Feldstärke und damit auch der Pho­ tonen-Wellenlänge. Diese hohen Anforderungen sollten mit einem Standard-Automatisierungssystem aus der Industrie umgesetzt werden. Nach einer mehrmonatigen Evaluierungsphase hat sich hier die PC-basierte Steuerungs- und Antriebstechnik von Beckhoff als optimal erwiesen.“ Vorteile ergibt insbesondere die leistungsfähige Software Twincat mit integrierten Motion-Control-Funktionen. Dazu Dr. Suren Karabekyan: „Mit Twincat lässt sich eine hochpräzise und dabei sehr dynamische Antriebssteuerung realisieren, mit der Möglichkeit mehrere Achsen exakt aufeinander zu synchronisieren. Dabei lassen sich die hohen Synchronitätsanforderungen sogar bei unseren sehr langen Undulator-Systemen mit ihren bis zu 35 Zellen erfüllen. Sehr hohe Anforderungen werden außerdem an die Steuerung der Undulatoren innerhalb eines SASE-Bereichs gestellt. Denn um Experimente zur Messung der Photonenenergie ‚on the flight‘ durchführen zu können, ist eine max. Synchronisation des Magnetstruktur-Abstands für alle Undulatoren eines Bereichs erforderlich. Bestes Beispiel hierfür ist das ebenfalls über Twincat gesteuerte Projekt „Kinetic Rain“ am Changi Airport in Singapur, bei dem über 1 200 Servoachsen antriebstechnik 5/2016 49