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antriebstechnik 4/2017

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HANNOVER MESSE

HANNOVER MESSE 2017 I SPECIAL Die richtigen Angaben entscheiden Ein Leitfaden zur optimalen Werkstoffauswahl bei Elastomerdichtungen An die Antriebstechnik werden hohe Ansprüche gestellt hinsichtlich Effizienz, Dichtheit und Zuverlässigkeit. Das betrifft auch die Dichtungen. Anwender stehen allerdings bei der Auswahl von geeigneten Elastomer-Dichtungswerkstoffen häufig vor dem Problem aus einem teilweise sehr umfangreichen Produktportfolio bei einer Vielzahl von Lieferanten den für die jeweilige Anwendung geeigneten Dichtungswerkstoff herauszufinden. Neben verschiedenen Elastomertypen wie z. B. NBR, EPDM oder FKM, gibt es unterschiedliche Härten (wie z. B. 70 Shore A oder 90 Shore A), unterschiedliche Farben oder Merkmale wie z. B. Eignung für Lebensmittelkontakt oder Medienbeständigkeiten. Nicht immer ist sofort ersichtlich, dass der eingesetzte Dichtungswerkstoff für die Anwendung nicht geeignet ist, denn nicht selten tritt die Undichtigkeit schleichend auf. Ein nicht zu unterschätzendes Problem. Im Folgenden erhalten Anwender einen systematischen Leitfaden, der ihnen ermöglichen soll, einen möglichst optimalen Werkstoff für ihre speziellen Anwendungen zu finden. Folgende Parameter sind hierbei von Bedeutung: n Dichtungswerkstoff bzw. Elastomertyp, n Einsatztemperatur, n Medienkontakt, n mechanische Eigenschaften, n Freigaben/Zulassungen n und Einbauräume. Die Dichtungswerkstoffe Die Tabelle 1 zeigt typische Elastomerwerkstoffe, die für Dichtungsaufgaben Verwendung finden. Aufgeführt ist neben der Kurzbezeichnung nach DIN ISO 1629 auch die chemische Bezeichnung dieses Werkstoffs und einige typische Handelsbezeichnungen. Anzumerken ist, dass ein Dichtungswerkstoff nicht nur aus dem sogenannten Basis-Elastomer oder genauer gesagt Kautschuk besteht. Darüber hinaus besteht ein Werkstoff auch noch aus diversen zusätzlichen Mischungsbestandteilen, wie z. B. Füllstoffe, Verarbeitungshilfsstoffe, Weichmacher sowie Vernetzer, um nur einige zu Dipl.-Ing. (FH) Michael Krüger ist Leiter Anwendungstechnik bei der C. Otto Gehrckens GmbH & Co. KG in Pinneberg nennen (Tabelle 2). Der Kautschuk ist der bestimmende Parameter, wenn es um die Anwendung als Dichtungswerkstoff geht, aber auch die übrigen Mischungsbestandteile können einen nicht zu unterschätzenden Einfluss in der Anwendung haben. Die Einsatztemperaturen Um einen geeigneten Elastomerdichtungswerkstoff auswählen zu können, ist es notwendig, den Einsatztemperaturbereich festzulegen, in dem die Dichtung verwendet werden soll. Tabelle 3 gibt einen Überblick über die minimalen und maximalen Einsatztemperaturen von einigen Elastomerwerkstoffen, wobei sich die dort genannten Temperaturen stets auf das Medium Luft beziehen. Bei Kontakt mit einem anderen Medium – unabhängig, ob flüssig oder gasförmig – können sich die zulässigen Einsatztemperaturen teilweise deutlich ändern. Dies gilt es bei der Auswahl nach einem geeigneten Dichtungswerkstoff unbedingt zu berücksichtigen. Ein Beispiel: Obwohl ein Standard-FKM-Werkstoff eine maximale Einsatztemperatur von 200 °C aufweist, ist dieser Werkstoff bei Abdichtung gegenüber Wasserdampf nur bis zu ca. 120 °C einsetzbar. Oberhalb dieser Temperatur würde dieser Werkstoff über die Dauer chemisch angegriffen und würde seine Dichtfunktion durch Verhärtung verlieren. Der Medienkontakt Der nächste wichtige Parameter zur Werkstoffauswahl ist die Klärung über das abzudichtende Medium bzw. die Medien, wobei diese flüssig als auch gasförmig sein können. In erster Linie muss die Frage beantwortet werden, gegenüber welchem Medium abgedichtet werden soll. Zusätzlich muss auch geklärt werden, ob noch zusätzliche Medien mit dem Dichtungswerkstoff in Berührung kommen können, wie z. B. Reinigungsmittel in Produktionsanlagen der Lebensmittelindustrie oder Medien, mit denen der Dichtungswerkstoff vor der Montage gereinigt oder gefettet wird. In vielen 108 antriebstechnik 4/2017

SPECIAL I HANNOVER MESSE 2017 Fällen ist auch noch eine Angabe über die Medienkonzentration notwendig (z. B. bei Säuren oder Basen) sowie eine Angabe über die Zusammensetzung des Mediums (z. B. bei Hydraulikfluiden). Darüber hinaus ist neben der Angabe des Mediums auch die dazugehörige auftretende Temperatur von großer Bedeutung, da mit zunehmender Temperatur meist auch die Aggressivität des Mediums ansteigt. Ein Beispiel hierfür ist Wasser, welches bei Raumtemperatur (20 °C) keine größeren Beständigkeitsprobleme mit den üblichen Dichtungswerkstoffen aufweist, aber mit ansteigender Temperatur bei einigen Compounds zu starken Wechselwirkungen führt. So ist z. B. ein Standard-NBR-Dichtungswerkstoff gegenüber Wasser bei 80 °C nicht mehr beständig bzw. ausreichend resistent. Wenn alle Medien bekannt sind, mit denen die Dichtung vorhersehbar in Kontakt kommen kann, erfolgt die Auswahl eines geeigneten Werkstoffs. Zur ersten groben Abschätzung bieten sich hierfür sogenannte Beständigkeitstabellen an, die in der Regel bei jedem Lieferanten frei erhältlich sind. Diese sind allerdings meist nur sehr allgemein gehalten und beziehen sich überwiegend auf den verwendeten Basis-Elastomer (Kautschuk). Die übrigen Mischungsbestandteile bleiben dabei unberücksichtigt, obwohl auch sie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss haben können. So sind einige Medien in der Lage, einen Weichmacher aus dem Dichtungswerkstoff herauszulösen, wodurch es zu einer Versprödung und damit verbunden Undichtigkeit der Dichtung kommen kann, obwohl gemäß Beständigkeitstabelle der Kautschuk als beständig eingestuft wurde. Darüber hinaus liegt die Temperatur des abzudichtenden Mediums – wenn nichts anderes vermerkt ist – bei Raumtemperatur, was in einer Anwendung eher die Ausnahme darstellt (Tabelle 4). Darüber hinaus gibt es genormte anwendungsspezifische Beständigkeitslisten, wo neben den Basis-Elastomeren und den Medien auch die dazugehörige maximale Einsatztemperatur aufgeführt ist. Beispiele hierfür sind die DIN 11483-2 für Lebensmittelanwendungen und die ISO 6072 für Hydraulikanwendungen. Eine weitere Möglichkeit, einen geeigneten Werkstoff bezüglich Medium und Temperatur auszuwählen, sind erweiterte oder spezielle Beständigkeitslisten oder firmeninterne Datenbanken, die neben den allgemein zugänglichen Beständigkeitstabellen bei einigen Herstellern verfügbar sind. Gute Ergebnisse für den Anwender liefern Einlagerungs- oder besser noch Praxisversuche, die aber in der Regel sehr zeit- und kostenaufwendig sind. Die mechanischen Eigenschaften Kurzzeichen NBR HNBR EPDM Chemische Bezeichnung Acrylnitril-Butadien- Kautschuk Hydrierter Acrylnitril- Butadien-Kautschuk Ethylen-Propylen- Dien-Kautschuk Typische Handelsbezeichnung Perbunan® Therban® Keltan® Sobald unter Beachtung der Medien und der Einsatztemperaturen die Auswahl eines geeigneten Elastomerwerkstoffs getroffen worden ist, muss auch eine eventuelle mechanische Beeinflussung des Werkstoffs geklärt werden, die z. B. aufgrund der Einbausituation bzw. der Anwendung auftreten kann. Ein Beispiel hierfür ist die Hochdruckanwendung. Hier spielt nicht nur die Beständigkeit gegen das Medium und die Einsatztemperatur eine Rolle, sondern auch der Widerstand gegen den auftretenden hohen Druck. Je höher dieser Druck ist (z. B. 350 bar), desto höher muss auch die Härte des Elastomerwerkstoffs sein (z. B. 90 Shore A), um einen vorzeitigen Dichtungsausfall durch Spaltextrusion vorzubeugen. Weitere mechanische Beeinflussungen, auf die der Elastomerwerkstoff richtig ausgelegt werden muss, sind Abriebfestigkeit bei dynamischen Anwendungen oder hohe innere Festigkeiten bei Anwendungen, mit plötzlich starkem Druckabfall. Auch gute Deh- FKM Fluor-Kautschuk Viton® FFKM Perfluor-Kautschuk Kalrez®, Perlast® TFE/P (FEPM) Tetrafluor-Kautschuk Aflas® ETP (FEPM) Ethylen-Tetrafluorethylen- Viton® Extreme TM PMVE-Kautschuk CR Chloropren-Kautschuk Neoprene® AU/EU Polyurethan-Kautschuk ACM Acrylat-Kautschuk AEM Ethylen-Acrylat-Kautschuk Vamac® VMQ FVMQ Vinyl-Methyl-Polysiloxan- Kautschak Fluor-Vinyl-Methyl- Polysiloxan-Kautschak Tabelle 1: Auswahl typischer Dichtungswerkstoffe Elastosil® Inhaltsstoff Anteil in % Kautschuk (Polymer, z. B. NBR) 55–65 Füllstoff (Carbon Black, Kieselsäure) 35–45 Weichmacher (mineralisch oder synthetisch) 0–20 Vernetzungsmittel (z. B. Peroxid, Schwefel) 1–5 Verarbeitungshilfsstoffe (z. B. Stearinsäure) 1–5 sonstige (z. B. Metalloxide, Farbpigmente) 0–8 Tabelle 2: Mischungsbestandteile nungseigenschaften, wenn die Dichtung bei der Montage konstruktionsbedingt stark gedehnt werden muss, können eine signifikante Rolle bei der Werkstoffauswahl bedeuten. Die Freigaben und Zulassungen In einigen Branchen ist es erforderlich, die Eignung des Elastomerwerkstoffs zusätzlich noch mit einer Freigabe bzw. Zulassung zu belegen. Hiervon sind beispielsweise Anwendungen im Bereich Trinkwasser, Lebensmittel, Pharmazie oder Gasversorgung betroffen. Anwenderseitig zu klären ist hier, welche Kriterien der Dichtungswerkstoff erfüllen muss, z. B. FDA-konform gemäß der US-Bundesverordnung 21 CFR 177.2600, wenn eine Verwendung in der Lebensmittelindustrie vorgesehen ist. Werkstoffe, die einer Freigabeprozedur unterliegen, weisen z. B. Beschränkungen bei der Verwendung von Mischungsbestandteilen auf (Lebensmittel, antriebstechnik 4/2017 109