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antriebstechnik 4/2015

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GETRIEBE UND

GETRIEBE UND GETRIEBEMOTOREN Nie ausschließen Oder: Sind moderne Schneckengetriebe deutlich besser als ihr Ruf? André Siebert, Kaj Sellschopp Schneckengetriebe werden wegen des linienförmigen Zahneingriffs und der vorhandenen Gleitanteile in der Verzahnung pauschal häufig geringere Wirkungsgrade und Energieeffizienz unterstellt. Wir belegen, dass dies heute nur sehr bedingt zutreffend ist und zeigen auf, dass die Vorteile dieser Getriebebauform je nach Anwendung deutlich überwiegen. Zu diesen Vorteilen zählen die Laufruhe, die Überlastbarkeit, die hohen Übersetzungen in einer Stufe und der einfache, robuste Aufbau, sowie ihre Kompaktheit [1] [2] [3]. Dipl.-Ing. Kaj Sellschopp ist Leiter Entwicklung und Konstruktion, M.Eng. André Siebert, ist Berechnungsingenieur, beide beschäftigt bei der ZAE- AntriebsSysteme GmbH & Co KG in Hamburg Auf dem Gebiet der Schneckengetriebe wird kontinuierlich viel Forschungsund Entwicklungsarbeit betrieben, um das Produkt noch weiter zu verbessern. Vor allem Arbeiten aus der FVA-Gemeinschaftsforschung (Forschungsvereinigung Antriebstechnik e.V.), aber auch industrielle Forschung und Entwicklungen haben auf diesem Gebiet große Fortschritte erbracht. So wurden Berechnungsgrundlagen, Werkstoffe, Fertigung und Schmierstoffe in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt. In Expertenkreisen ist es unverständlich, dass Schneckengetriebe aktuell von einigen Industrieunternehmen und seitens der EU-Kommission pauschal vorverurteilt werden [4] [5]. Verzahnungen in Industriegetrieben In Industriegetrieben haben sich einige Verzahnungsformen besonders stark verbreitet. Zu diesen zählen vor allem Stirnradsätze, Kegelradsätze mit und ohne Achsversetzung, sowie Schneckenradsätze. Zu unterscheiden sind zwei Gruppen von Radsätzen. Zum einen die reinen Wälz verzahnungen, bei denen kinematisch im Zahnkontakt lediglich ein Gleiten der Flanken in Zahnhöhenrichtung auftritt. Im sogenannten Wälzpunkt sind diese Relativgeschwindigkeiten naturgemäß null. Zu dieser Gruppe zählen die Stirnradsätze und die Kegelradsätze ohne Achsversetzung. Dem gegenüber stehen die sogenannten Schraub-Wälzverzahnungen, bei denen aufgrund einer überlagerten Schraubbewegung ein zusätzliches Gleiten entlang der Flankenlinien entsteht. Diese Verzahnungen erzeugen prinzipbedingt mehr Reibungsverluste im Betrieb. Der Betrag dieser zusätzlichen Verluste ist jedoch sehr stark von der Geometrie der Verzah- 80 antriebstechnik 4/2015

GETRIEBE UND GETRIEBEMOTOREN nung abhängig und kann bei entsprechender Auslegung des Getriebes signifikant verringert werden. Zu dieser zweiten Gruppe gehören Kegelradsätze mit Achsversetzung (Hypoidgetriebe) und Schneckenradsätze. Besondere Eigenschaften 01 Übersicht der Verzahnungsformen Schneckengetriebe sind neben Kegelradgetrieben und Kegel-Stirnradgetrieben weitaus die am häufigsten eingesetzten Winkelgetriebe im Maschinen- und Anlagenbau. Sehr oft stellt sich dem Konstrukteur die Frage, welchen Getriebetyp er für seinen Anwendungsfall zum Einsatz bringen soll. Diese Entscheidung muss anhand der jeweiligen spezifischen Anforderungen getroffen werden. Die Firma ZAE-AntriebsSysteme GmbH & CO KG (ZAE) hält für Kunden alle drei Konzepte bereit. Schneckengetriebe sind aufgrund ihres einfachen Aufbaues und der vergleichsweise wenigen Bauteile in der Regel günstiger als andere Getriebetypen; vor allem bei höheren Übersetzungen. Daher macht der Einsatz eines Schneckengetriebes in vielen Fällen allein schon aus ökonomischen Gesichtspunkten heraus viel Sinn. Bei Schneckengetrieben lassen sich aufgrund der Verzahnungsgeometrie Übersetzungen in einer weiten Spanne von 4:1 bis etwa 100:1 in einer einzigen Getriebestufe realisieren. Diese Eigenschaft spart Bauraum und reduziert die Anzahl bewegter Teile. Gegenüberstellungen von Tragfähigkeitsberechnungen nach DIN-Richtlinien von unterschiedlichen Radsätzen ähnlicher Abmessungen und identischer Übersetzung zeigen, dass Schneckengetriebe mit Stirn- und Kegelrädern vergleichbare Leistungsfähigkeiten besitzen. Hinsichtlich Überlastbarkeit und Stoßunempfindlichkeit sind sie den anderen Bauformen sogar deutlich überlegen. Ein nicht nur in der Antriebstechnik aktuell heiß diskutiertes Thema ist die Energieeffizienz von Systemen. Des Öfteren wird in diesem Zusammenhang über die Wirkungsgrade von Schneckengetrieben debattiert. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, werden die Schneckengetriebe vielfach in einem schlechten Licht dargestellt. Die Aussagen sind zum Teil unzutreffend, da sie oft die Realität bewusst oder unbewusst unvollständig darstellen. Der Wirkungsgrad eines Schneckengetriebes liegt in vielen Fällen deutlich über 90 %. Dies hängt im Wesentlichen von der Verzahnungsgeometrie und dem Schmierstoff ab. Die DIN 3996 [6] bietet sehr brauchbare, elementare Grundlagen für die Berechnung. Der Wirkungsgrad hängt ganz wesentlich vom Steigungswinkel der Schnecke und von der mittleren Gleitgeschwindigkeit in der Verzahnung ab. In üblichen Drehzahlbereichen und bei Übersetzungen von 5:1 bis 10:1 erreichen Schneckengetriebe Betriebswirkungsgrade von bis zu 97 %, bei Übersetzungen von 40:1 sind Wirkungsgrade von über 80 % möglich. Die Grundreibungszahl fällt mit steigender Gleitgeschwindigkeit und der Wirkungsgrad nimmt bei höheren Drehzah- 02 Verzahnungsgeometrie verschiedener Radsatzbauformen vergleichbarer Größe und Übersetzung 5:1 antriebstechnik 4/2015 81