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antriebstechnik 11/2015

antriebstechnik 11/2015

Frischer Wind Steuerung

Frischer Wind Steuerung und dezentrale Antriebe schaffen Platz und erhöhen die Performance eines Windkanals Volker Schmoll Seinen transsonischen Windkanal hat ein Göttinger Institut wieder auf einen zukunftssicheren Stand der Automatisierungstechnik gebracht. Neue dezentrale Antriebe mit integriertem Leistungsteil reduzierten dabei den Verkabelungsaufwand und die Schaltschrankgröße deutlich. Volker Schmoll, Digital Factory Motion Control, Siemens AG, Kassel Von den Anfängen der Airbus-Entwicklungen bis heute hat der Transsonische Windkanal Göttingen (TWG) am Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) eine mehr als fünfzigjährige Erfolgs geschichte hinter sich. Er zählt nach wie vor zu den bedeutendsten Windkanälen für die Erforschung künftiger Raumfahrzeuge, Flugzeuge und Helikopter in Deutschland. Betreiber ist die Stiftung Deutsch-Niederländische Windkanäle (DNW), ein Tochterunternehmen des DLR und dessen niederländischem Pendant NLR. Im TWG kann simuliert werden, wie sich Flugobjekte (Modelle) bei Unter-, Transund Überschallgeschwindigkeit verhalten. Dazu wird Luft mit entsprechend hoher Geschwindigkeit durch die Messstrecke mit einem Querschnitt von 1 × 1 m und einer Länge von 4,5 m am Testobjekt vorbeigeführt. Drei austauschbare Messstrecken decken den Geschwindigkeitsbereich von Mach 0,3 bis 2,2 (370 bis 2 700 km/h) ab. Am häufigsten im Einsatz ist die so genannte adaptive Messstrecke für Untersuchungen im Bereich von Mach 0,3 bis 0,9, der insbesondere für Verkehrsflugzeuge relevant ist. Um damit realistische Strömungsverhältnisse nach- bilden zu können, sind die obere und untere Wand der Messstrecke flexibel ausgeführt. Über insgesamt 42 mit Hilfe von Servo motoren präzise verstellbare Stempel lassen sich beide Wände an die jeweils auftretenden Stromlinien anpassen und damit Strömungsverhältnisse wie im freien, unbegrenzten Raum simulieren. Aerodynamische Kräfte und Momente werden mit Windkanalwaagen ermittelt. Mit Standard-Drucksensoren, aber auch mit speziellen optischen Messsystemen werden Druck-, Geschwindigkeits- und Strömungsverhältnisse am Modell sichtbar gemacht und analysiert. Je mehr dieser Systeme gleichzeitig eingesetzt werden können, umso besser. Platz am Windkanal und Zugänglichkeit zur Messstrecke sind neben der Erfassungsgeschwindigkeit folglich zentrale Themen. Retrofit für mehr Platz und Performance So auch bei der aktuellen Modernisierung der Steuerungs- und Antriebstechnik des TWG und der adaptiven Messstrecke. Dabei sollte das auf mehrere Steuerungen verteilte Automatisierungskonzept auf einer einzigen 82 antriebstechnik 11/2015

ELEKTROMOTOREN neuen Steuerung gebündelt werden, um die Querkommunikation einzusparen. Der Betreiber erwartete eine neue Antriebstechnik für die Wandverstellung an der adaptiven Messstrecke, um die Motorverkabelung zu reduzieren und die dezentralen Schaltkästen idealerweise einzusparen und so Platz für zusätzliche Messsysteme zu schaffen sowie das Umrüsten zu vereinfachen und zu beschleunigen. Bei der Projektierung mussten die erweiterten Umweltbedingungen hinsichtlich Umgebungstemperatur (bis zu 50 °C) und Druck (0,25 – 1,5 bar) berücksichtigt werden. Die überlagerte Hauptsteuerung und die Visualisierungen unter Simatic WinCC sollten in dieser Phase des Umbaus beibehalten und anschlussfertige Einheit aus einem Servomotor Simotics S-1FK7 mit Absolutwertgeber, Bremse (optional) und direkt aufgebautem Leistungsteil. Die Ausführung in Schutzart IP65 ermöglichte den direkten Einbau in die Messstrecke. Bindeglied zum Sinamics- Verband im zentralen Schaltschrank sind vier Adaptermodule AM600 sowie acht Control-Units CU320-2 PN (je eine für sechs geregelte Antriebe). All das passte in ein einziges 800 mm breites Schaltschrankfeld. Über vorkonfektionierte, steckbare Hybridleitungen können an ein AM600 bis zu zwölf Sinamics S120M angeschlossen werden. Die Hybridleitungen bringen die Versorgungsspannung (600 VDC), die Hilfsspannung und das DriveCliq-Signal zu leistung durch Einsparung von zwei Schaltschränken eindeutig positiv. High-End-Controller verkürzt Zykluszeiten Die leistungsfähigste CPU S7-1518 der jüngsten Baureihe stellt dabei sicher, dass alle Stempel einer Wand gleichzeitig starten und gleichzeitig in der Endlage ankommen, unabhängig davon, wie lang die jeweiligen Wege sind. Bei den hohen Windgeschwindigkeiten kann jede unkontrollierte Verstellung zur Zerstörung der Modelle und damit auch zu großen Schäden am Windkanal führen. Neben der erforderlichen Adaption „Das Zusammenspiel aller Beteiligten hat in allen Phasen reibungslos funktioniert“ Ingo Stamm die Schnittstellen der neuen Anlagenteile daran angepasst werden. Letztendlich zugetraut hat sich das hochkomplexe Retrofit-Projekt mit Komponenten unterschiedlicher Generationen von mehreren Herstellern die Firma PS Control-Purkott + Stamm GmbH aus Niestetal, ein Systemintegrator mit Siemens- Background. Mit Unterstützung der früheren Kollegen aus Kassel (Vertrieb) und Bielefeld (Antriebstechnik) realisierte PS Control eine zukunftsfähige Lösung. Dabei gab es gleich zu Beginn wesentliche Änderungen zum ursprünglichen Konzept. So hat Siemens zwischenzeitlich mit der Simatic S7-1500 eine neue Steuerungsgeneration und mit dem Sinamics S120M auch einen neuen dezentralen Servoantrieb vorgestellt. „Bis zu drei unabhängige Profinet-/ Ethernet-Schnittstellen und Profibus-DP on-board zu haben und bis zu 128 Motion- Control-Antriebe an einer Steuerung betreiben zu können, damit mussten wir den innovativen Ansätzen gegenüber sehr offenen Betreiber nicht lange zum Umstieg überreden“, sagt Ingo Stamm, Geschäftsführer von PS Control. Kompakt und anschlussfertig „Hinzu kam die neue, dezentrale Antriebsvariante Sinamics S120M, die prädestiniert schien für die Anforderungen unserer Anwendung“, so Horst Zaschke, der verantwortliche Anlagen-Ingenieur bei DNW. Der neue Antrieb von Siemens ist eine kompakte, den Servos. Die Geräte in Achshöhe 48 mit 570 W Nennleistung haben jeweils zwei entsprechende Schnittstellen zum einfachen Durchschleifen von Antrieb zu Antrieb. Das sparte Aufwand, Platz, Zeit und „zentnerweise“ Kabel. Es wurden die ebenfalls neuen Schaltschrankdurchführungen (Hybrid Cabinet Bushings) eingesetzt. Diese trennen die Hybrid- und DriveCliq-Kabel nicht wie üblich an der Schaltschranktür, sondern an der Messstrecke, die somit schneller denn je an- bzw. abgekoppelt und ausgetauscht werden kann. Zuvor wurde die Messstrecke über zahlreiche Steckverbindungen mit der Anlage verbunden, was immer großen Aufwand bedeutete und fehlerbehaftet war. Die Anzahl der Steckverbindungen konnte um Faktor 3 reduziert werden. Die neue Sinamics-Antriebstechnik ermöglicht auch das Umschalten zwischen verschiedenen Antriebskonfigurationen per Programm in den Control- Units. Auch das vereinfacht den Betrieb mehrerer Messstrecken, ohne die Antriebs-Hardware im Schaltschrank für jede einzelne separat aufbauen zu müssen. Ihre eigentliche Aufgabe, das Verstellen der oberen und unteren Wand der adaptiven Messstrecke nach jeder Veränderung im Testaufbau, erfüllen die dezentralen Antriebe präzise, dynamisch und zuverlässig. Ebenso ist die Energiebilanz für die elektrische Leistung sowie die eingesparte Kühl- 01 Eine Simatic S7-1518 positioniert die Stempel der oberen und unteren Mess streckenwand präzise im Gleichlauf 02 Der dezentrale Servoantrieb Sinamics S120M integriert einen Servomotor Simotics S-1FK7 mit Absolutwertgeber und ein Leistungsteil antriebstechnik 11/2015 83