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antriebstechnik 1-2/2015

antriebstechnik 1-2/2015

DICHTUNGSTECHNIK I

DICHTUNGSTECHNIK I SPECIAL Wellendichtringe für industrielle Anwendungen Teil 1: Vorgaben für die Dichtring-Entwicklung bei Parker Thomas Papatheodorou Überall, wo rotierende Wellen in industriellen Anwendungen funktionssicher abgedichtet werden müssen, werden berührende Radial- und Axialwellendichtringe in allen nur denkbaren Bauformen eingesetzt. Dabei müssen sie anspruchsvollen Leistungsparametern genügen. Der erste Teil dieses Zweiteilers behandelt die Richtwerte und Vorgaben bei der Dichtringentwicklung im Hause Parker Prädifa. E nergieeffizienz, lange Lebensdauer, hohe Medienverträglichkeit und geringer Einfluss auf die Gegenlauffläche stehen heutzutage im Fokus der Entwicklung von Bauformen für berührende Radial- und Axialwellendichtringe. Besonders zu beachten ist dabei die Geometrieauslegung hinsichtlich Radialkraft, Dichtlippendesign und Federauslegung. Bei der Wahl bzw. der Entwicklung des Werkstoffs sind die Verträglichkeitsanforderungen des Mediums sowie die REACH-Konformität des Materials zu beachten. In drucklos betriebenen Getrieben oder Elektromotoren kommen üblicherweise Wellendichtringe der Bauformen VA (DIN: A) oder VB (DIN: AS) nach DIN 3760 zum Einsatz. Bei mit hydraulischem Druck betriebenen Pumpen oder Motoren werden je nach aufgebrachter Druckbelastung verschiedene Bauformen von Druckwellendichtringen eingesetzt, wie z. B. die Parker- Typen VP, VT oder VV. Bei reiner Fettabdichtung werden sehr häufig Wellendichtringe der Bauformen VG, VK oder VS verwendet. Diese unterscheiden sich von Standard- Thomas Papatheodorou, Manager Technical Services, Parker Engineered Materials Group, Packing Division Europa in Bietigheim-Bissingen Radialwellendichtringen (RWDR) durch den Verzicht auf die Vorspannfeder, die ansonsten als zusätzliche Vorspannung neben der Initialanpressung durch die radiale Überdeckung der Elastomerdichtlippe mit der Welle wirkt. Neben Standard produkten kommt in industriellen Anwendungen auch noch eine Vielzahl anwendungsspezifischer Sonderlösungen zum Einsatz. Werkstoffprüfungen 01 Richtwerte zur Bewertung von Versuchsergebnissen bei Verträglichkeitsuntersuchungen mit Elastomerwerkstoffen Bevor ein neuer Elastomerwerkstoff für Radialwellendichtringe eingesetzt werden kann, wird er im akkreditierten Parker­ Prädifa Werkstofflabor bezüglich seiner chemischen und physikalischen Leistungseigenschaften getestet. Dies geschieht anhand von in der hausinternen Prüfnorm PHL 6029 beschriebenen Kriterien. In Abhängigkeit vom zu testenden Elastomertyp werden hierbei Vorgaben in Bezug auf Temperatur, Testmedium, Prüfzeiten und zulässigen Änderungen in den wichtigsten Werkstoffkennwerten gemacht. Generell wird bei den Elastomerwerkstoffen die Änderung der Härte, des Volumens, der Zugfestigkeit und der Reißdehnung in Kurz- und Langzeituntersuchungen geprüft. Untersucht werden sowohl Standardreferenzelastomere als auch Gebrauchselastomere in den Medien IRM-902, sowie in einem handelsüblichen Motorenöl und einem Getriebeöl. Je nach zu testendem Gebrauchselastomerwerkstoff und Medium werden die in Tabelle 1 48 antriebstechnik 1-2/2015

SPECIAL I DICHTUNGSTECHNIK dargestellten Prüfkriterien (Zeit und Temperatur) für die Untersuchungen verwendet. Die Ergebnisse der Einlagerungsversuche an den Referenzelastomeren ermöglichen die Bestimmung des sogenannten Elastomerverträglichkeitsindex (EVI). Mit diesem kann sodann eine schnellere Voraussage über die Eignung eines bestimmten Gebrauchselastomers für den Einsatz in einem vom Kunden vorgege benen Medium getroffen werden. Schlechtester Wert bestimmt Gesamtergebnis Die Beurteilung der Prüfwerte nach Medieneinwirkung im Hinblick darauf, ob letztendlich eine Dichtung in einer Applikation zuverlässig funktionieren wird, ist schwierig. Es können aber bereits erste Voraussagen getroffen werden, die eine zuverlässigere Bewertung zulassen. Bild 1 liefert Richtwerte zur Beurteilung von Prüfergebnissen, die Aufschluss darüber geben, ob ein Werkstoff hinsichtlich der Medieneinwirkung noch zum Einsatz kommen kann. Hierbei gilt: das schlechteste Einzelergebnis bestimmt das Gesamtergebnis. Im Einzelfall sollten jedoch zusätzlich zu den Verträglichkeitsuntersuchungen weitere Untersuchungen durchgeführt werden, wie zum Beispiel dynamische Dauerversuche auf Versuchsprüfständen. Kann in einer Verträglichkeitsuntersuchung ein chemischer Angriff beim zu prüfenden Elastomerwerkstoff festgestellt werden, so wird generell empfohlen, einen Werkstoff auf Basis einer Kautschukart auszuwählen, der vom abzudichtenden Medium chemisch nicht so leicht angegriffen wird. Sowohl bei Standard- als auch bei Druck-RWDR werden hauptsächlich FKM- Werkstoffe in den Härteklassen 70 bis 80 Shore A eingesetzt. Bei Parker-Prädifa werden folgende Gebrauchselastomere Einlagerung 168 h Werkstoff FP112 (FKM) FP131 (FKM) Volumenänderung [%] +0,7 +0,3 Härteänderung [Pkt] -2 -1 Änderung der Reißfestigkeit [%] +9,8 +11,1 Änderung der Reißfestigkeit [%] -5,4 -20,3 Bewertung +++ +++ Einlagerung 1000 h Werkstoff FP112 (FKM) FP131 (FKM) Volumenänderung [%] +1,5 +1,8 Härteänderung [Pkt] ± 0 ± 1 Änderung der Reißfestigkeit [%] +18,9 +13,1 Änderung der Reißfestigkeit [%] -23,7 -37,8 Bewertung +++ + Tabelle 2: Ergebnisse der Einlagerungsversuche in einem vollsynthetischen Getriebeöl Druckflüssigkeit Symbol Testelastomer Temp. [°C] ±1 °C Mineralöl / PAO H, HL, HLP, HVLP NBR-1 / NBR-2 HNBR-1 FKM-2 Wasser-Glykol-Gemisch HFC NBR-1 / NBR-2 HNBR-1 EPDM-2 Öl-in-Wasser-Emulsion HFAE, HFAS NBR-1 / NBR-2 HNBR-1 FKM-2 Wasser-in-Öl-Emulsionen HFB NBR-1 / NBR-2 HNBR-1 FKM-2 Phosphorsäureester - Alkylphosphatester - Arylphosphatester HFDR EPDM-1 FKM-1 EPDM-1 Polyolester HFDU NBR-1 / NBR-2 HNBR-1 FKM-2 Synthetische Ester HEES NBR-1 / NBR-2 HNBR-1 FKM-2 Triglyzeride HETG NBR-1 / NBR-2 HNBR-1 FKM-2 Polyalkylenglykole HEPG HNBR-1 FKM-2 Synthetische Kohlenwasserstoffe HEPR HNBR-1 FKM-2 100 130 150 Tabelle 1: Prüfkriterien für Medienverträglichkeitsuntersuchungen nach Parker-Hausnorm PHL 6029 wirkungen auf die Werkstoffkennwerte, so dass bei einem der beiden Testwerkstoff die Bewertung von „sehr gut“ auf „befriedigend“ geändert werden musste. Daher ist es unabdingbar, die Dichtungswerkstoffe und Schmierstoffe vor dem Einsatz aufeinander abzustimmen. Die Prüfkosten der Elastomerverträglichkeit sind im Verhältnis zu den Kosten, die beim Ausfall einer Dichtung entstehen können, verschwindend gering. Gegenüber Mineralölen erwiesen sich FKM-Werkstoffe in den internen Untersuchungen im Allgemeinen als unkritisch. Bei hoch additivierten Motorenölen und bei Getriebeölen empfiehlt Parker generell die Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung. Fotos: Aufmacher (Parker-Praedifa_Radialwellendichtringe) www.parker.com Prüfbedingungen [h] ± 2 h 168, 1000 60 168, 1000 60 168, 1000 60 168, 1000 100 150 130 60 100 100 60 100 100 168, 1000 168, 1000 168, 1000 60 168, 1000 100 168, 1000 130 150 168, 1000 Bremsflüssigkeiten DOT-3, DOT-4 EPDM-1 150 168, 1000 für RWDR verwendet: FP112 FKM mit 75 Shore A, FP131 FKM mit 70 Shore A, FP084 FKM mit 75 Shore A (FDA-konform), FP099 FKM mit 70 Shore A (Tieftemperaturwerkstoff). Testergebnisse Diese Werkstoffe wurden in umfangreichen Untersuchungen bezüglich ihrer Verträglichkeit mit Standard-Referenzölen aber auch handelsüblichen Medien getestet. Bei einem Test über 168 und 1 000 Stunden in einem vollsynthetischen Getriebeöl auf Basis von Polyalkylen-Glykol und Additiven (Omala S4 WE 320) ergaben sich folgende Änderungen in den Werkstoffkennwerten: Nach 168 Stunden hatten sich die beiden Werkstoffe als nahezu gleichwertig im Einsatz mit dem synthetischen Getriebeöl erwiesen. Mit zunehmender Dauer der Einwirkung des Mediums auf den Elastomerwerkstoff kam es jedoch zu immer stärkeren Wechselwirkungen mit entsprechend negativen Aus- Der zweite Teil dieses Beitrags erscheint demnächst in der antriebstechnik. In diesem werden die Prüfstände und Methoden bei der Entwicklung der Dichtringe von Parker Prädifa beleuchtet. antriebstechnik 1-2/2015 49